Resümee

Und ich bleibe dabei: Der Bachmann-Preis wird morgen wohl entweder an John Wray oder Ferdinand Schmalz gehen. Beide sind in ihrem Bereich längst Stars, John Wrays Romane werden in über zwanzig Sprachen übersetzt, die Theaterstücke von Ferdinand Schmalz unter anderem im Burgtheater uraufgeführt. Und trotzdem sind beide hier in Klagenfurt ein Risiko eingegangen: John Wray, in den USA aufgewachsener Sohn einer Kärntnerin, hat erstmals auf Deutsch geschrieben. Im Gespräch hat er gemeint, dass das für ihn schwierig war: "Und wäre ich hier verrissen worden, hätte ich sicher lange nicht mehr auf Deutsch geschrieben". Und der Grazer Ferdinand Schmalz, für seine Theatertexte mehrfach ausgezeichnet, hat hier in Klagenfurt einen Prosatext vorgelegt. Es wird morgen also spannend. Um 11 Uhr startet die Preisverleihung, 3sat überträgt live. Und nochmals zur Erinnerung: Heute zwischen 15 und 20 Uhr kann man für den Publikumspreis abstimmen, und zwar unter anderem unter bachmannpreis.orf.at

Urs Mannhart

Und nun der Abschluss: Den darf der Schweizer Autor Urs Mannhart machen. Der 1975 in Rohrbach geborene Autor schreibt Reportagen für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften. Für sein Schreiben wurde er bereits mit dem "Conrad Ferdinand Meyer-Preis" ausgezeichnet (für "Bergsteigen im Flachland"). Zum Video-Porträt geht es hier.

Urs Mannhart
Urs Mannhart © (c) APA/GERT EGGENBERGER (GERT EGGENBERGER)

Im Text "Ein Bier im Banja" geht es um Pferde, Wölfe und darum, wie einen von den anderen fernzuhalten. Quasi ein "Der mit dem Wolf kämpft". Verwirrend sind die extrem vielen Namen, da verliert man leicht den Überblick. Eingeladen wurde Urs Mannhart übrigens von Neo-Juror Michael Wiederstein.

Stefan Gmünder ist vom Text sehr angetan, die archaische Welt trifft auf eine moderne Welt, wo es Internet gibt und die Frauen Ärztinnen sind. Auch Sandra Kegel gefällt das ganz gut, manchmal geht es ihr aber ein bisschen zu sehr in "Fototapete". "Ich habe meine größten Schwierigkeiten mit diesem Text", meint dagegen Klaus Kastberger. "Für mich ist er ununterscheidbar von den Wolfsgeschichten aus dem 19. Jahrhundert." Ihm fehle die "Distanzierung". Hubert Winkels findet, erst einmal geht es "um Wölfe und Männer" und nur ganz am Rande "tauchen Signale der Moderne auf". "Die Geschichte ist vormodern und das modernste daran ist, dass sie hier gelandet ist."

Maxi Obexer

Die Theaterautorin Maxi Obexer (geb. 1970 in Brixen) gründete das Neue Institut für Dramatisches Schreiben und hatte Gastprofessuren u. a. in Washington DC und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Schon lange rückt sie die europäische Einwanderungspolitik in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Zum Videoporträt geht es hier.

Maxi Obexer
Maxi Obexer © APA/GERT EGGENBERGER

Migrantentext Nr. 2. Die Südtirolerin muss sich in Deutschland als Migrantin behaupten, sogar das Deutsch wird ihr zwischendurch abgesprochen.

"Ich wanderte aus, um meine Sprache zu finden". Immerhin Sätze von Gewicht im Text von Maxi Obexer. Sie kommt in Deutschland an, die Jungs im Zug aus Bozen nicht. Migranten erster und zweiter Klasse.

Hubert Winkels sieht das Problem des Textes darin, dass aus der "Perspektive des Komforts" erzählt wird: "Es ist eine Zweiteilung der Welt, in der ganze Sympathie denen gilt, die keinen Platz in der Festung Europa haben." Winkels findet hier ein "Klischeebild". Meike Feßmann hat die Autorin eingeladen und meldet sich "früh zu Wort, weil es sonst vielleicht in eine falsche Richtung geht." Für sie ist das ein Experiment, nämlich "dass die Sprache komplett abgerüstet ist. Es ist kein poetischer Text. Es ist eine Geschichte, die die Loslösung vom eigenen Heimatland beschreibt als ein Zur-Sprache-Kommen als Deutsch sprechende Südtirolerin." Stefan Gmündner findet "Kurzschlüsse" im Text, den er für "misslungen" hält. "Das ist die Erfahrung von Fremde", sagt Sandra Kegel, "aber es fehlt die literarische Raffinesse". Klaus Kastberger findet das "eh okay", weil hier die Perspektive der Flüchtlinge mit der Ich-Perspektive und jener der jungen Flüchtlingen verbunden wird.

Lendhafen

Auch im Lendhafen ist ordentlich was los.

Publikumspreis

An dieser Stelle sei nochmals an den Publikumspreis erinnert, für den zwischen 15 und 20 Uhr abgestimmt werden kann. Und zwar unter anderem unter bachmannpreis.orf.at oder bks.at.

Abstimmen über den besten Juror

Auch heuer kann bei den Kollegen auf www.literaturcafe.de wieder über den besten Juror/die beste Jurorin abstimmen. In den beiden vergangenen Jahren ging der Preis wieder an Klaus Kastberger.

Gianna Molinari

Die gebürtige Baslerin Gianna Molinari studierte literarisches Schreiben am Schweizer Literaturinstitut Biel und danach Neuer Deutsche Literatur an der Universität Lausanne. Sie ist Mitgründerin der Kunstaktionsgruppe "Literatur für das, was passiert". Ein Videoporträt der Autorin finden Sie hier.

Gianna Molinari
Gianna Molinari © APA/GERT EGGENBERGER

Zum Text geht es hier: Ein Mensch ist aus dem Himmel gefallen, quasi Lose vor die Füße. Und der sammelt jetzt alles über diesen Mann. Die Ich-Erzählerin arbeitet mit Lose im Wachdienst einer Karton-Fabrik. Und auch das Geheimnis des aus dem Himmel fallenden Mannes wird bald gelöst: Wohl ein Flüchtling, der im Schacht eines Flugzeugfahrwerks mitgeflogen war und beim Landesanflug in die Tiefe stürzte. Der Tote trug Jeans, ein T-Shirt, ein Amulett. Wer ist jetzt für den Leichnam zuständig?

Hubert Winkels meint, in dem Text "geht es um das Ereignis". "Alles war wir in diesem Text sehen, kommt aus der Box. Und Boxen werden ja auch in der Fabrik hergestellt."  Die Sprache breitet "sehr genau aus, wie die Welt dieser Wachleute ist: öde und langweilig." Stefan Gmünder findet ein ruhiges Erzählen auf drei Ebenen: die Ich-Erzählerin, die Geschichte von Lose und die Mappe. "Das finde ich schon sehr sehr gut." Auch Sandra Kegel betont, man hat es mit dem "Nicht-Hinschauen im entscheidenden Moment" zu tun. "Was hier passiert, interessiert die Literatur zur Zeit ja sehr: nicht nur das Dokumentarische, sondern auch: Woher beziehe ich meine Informationen?" Und wieder ein Geständnis: Klaus Kastberger mag Käfer-Menschen, Sandra Kegel mag "Nachtwächter" und auch den Text.

Klaus Kastberger fragt, inwiefern der Text sozusagen über journalistische Reportage hinausgeht. Der Text würde uns die Dokumente "vor das Auge knallen". "Ich finde den Text dort am besten, wo er nicht er selber ist." Hildegard Keller hat die Autorin eingeladen, ihr gefällt an "Loses Mappe", dass der Text das Globale und das Lokale verschränkt.

Aus dem Netz

Eckhart Nickel

Der 1966 in Frankfurt geborene Eckhart Nickel hat in Heidelberg Germanistik und Kunstgeschichte studiert und über Thomas Bernhard promoviert. Er arbeitete als Buchhändler und Journalist, war Mitglied des Popliterarischen Quintetts "Tristesse Royale" und Chefredakteur des Literaturmagazins "Der Freund". Nach mehreren Jahren im Ausland lebt er heute wieder in Frankfurt am Main. Er liest auf Einladung von Michael Wiederstein. Zum Videoporträt geht es hier.

Eckhart Nickel
Eckhart Nickel © APA/GERT EGGENBERGER

Zum Text geht es hier. Ein Mann fühlt sich auf einem Markt von Bio-Himbeeren bedroht, die plötzlich eine dunkle Farbe haben und kriegt wohl so etwas wie einen hysterischen Anfall (Titel "Hysteria") und macht sich auf den Weg zur Kooperative. Viel beunruhigende Natur - nicht nur Himbeeren schauen seltsam aus, die Brombeeren schmecken falsch und der Marienkäfer hat die falsche Farbe und einen länglichen Kopf. In einer Musterschule wurde eine Liliput-Arche errichtet.

Das ist schon irgendwie unheimlich - kommt da die nächste Apokalypse? Nur dass nun immerhin die Goeth'schen Pflänzchen überleben. Oder vielleicht die Gärtnerin, die ja tatsächlich Henriette Asche heißt. Ah, keine Apokalypse, eine Auflösung.

Hildegard Keller startet gleich als erste in die Morgen und vergibt gleich einmal den 1. Preis für den besten ersten Satz: "Mit den Himbeeren stimmte etwas nicht."

Hubert Winkels fragt sich, ob es dem Text gut tut, dass er sich in verschiedene Richtungen verändert. Stefan Gmünder findet, man merkt sehr schnell, dass da "etwas im Tun ist, dass da etwas gekippt ist und bis dahin gefällt es mir sehr gut". Aber er würde "immer mehr ins Symbolische abgleiten". "Ich habe Respekt vor dem Text, aber er ist dann symbolisch völlig überladen und das merkt der Autor und versucht, Atmosphäre zu schinden." Für Sandra Kegel ist es ein "Elementarteilchentext".

Das findet sie gut gemacht und "teilweise auch lustig". Meike Feßmann sieht hier einen "Dekadenztext" mit einem "Übermaß an literarischen Bezüglichkeiten". "Ich finde, dass die Welt derzeit nicht dekadenztauglich ist." Klaus Kastberger ist "restlos von dem Text eingenommen", denn er weiß nicht, ob er dieser Welt trauen kann: Rettet sie uns, oder sind das die Verbrecher? Ist dieser Biowelt zu vertrauen?

Michael Wiederstein findet, dass dieser Text viel über die Gegenwart aussagt. Die Menschen wollen wieder einen Nahversorger, sie wollen wissen, woher ihr Essen kommt. Und außerdem sei es "phantastisch geschrieben". Stefan Gmünder stören "schon Kleinigkeiten in den Bildern". Für Sandra Kegel ist es schon klar, dass der Text böse endet und diese Miniaturwelt böse ist.

Tja, die Juroren sind sich also nicht richtig einig: Geht es jetzt um Dekadenz oder nicht? Ist die Sprache wirklich "phantastisch"?

Publikumspreis

Heute kann zwischen 15 und 20 Uhr für den Publikumspreis abgestimmt werden. Und zwar ausschließlich im Internet. Hier gibt es mehrere Möglichkeiten mit bachmannpreis.orf.at, 3sat.de oder bks.at. Man muss übrigens auch eine Begründung abgeben.

Guten Morgen

Heute geht es in den letzten Lesetag. Mittlerweile haben sich mit John Wray und Ferdinand Schmalz zwei Autoren für den Bachmann-Preis empfohlen. Weitere Preischancen dürfen sich Verena Dürr und Jackie Thomae ausrechnen. Mal schauen, wie es heute weitergeht. Den Auftakt macht Eckhart Nickel, danach folgen Gianna Molinari, Maxi Obexer und Urs Mannhart.

Was gestern geschah, können Sie hier nachlesen.

Was am ersten Lesetag geschah, gibt´s hier.