Was ist Literatur? Das fragte sich gestern der Autor Franzobel in seiner „Klagenfurter Rede“. Mit dieser wird traditionell der Bachmann-Preis eröffnet, bevor die Lesereihenfolge ausgelost und der Literaturbetrieb sich bei einem großen Gartenfest auf die „Tage der deutschsprachigen Literatur“ einstimmt. Und der Bachmann-Preisträger des Jahres 1995 gibt die Antwort eigentlich schon im Titel, nämlich „Seelenfutter“.
Einst, so erzählt er, wollte er zwar wie Daniel Düsentrieb Erfinder werden: „Als Schriftsteller habe ich mir diesen Kindheitstraum erfüllt. Nun kann ich Wörter, Geschichten, Personen, Sprachen erfinden. Wirklich ein beneidenswertes Tun (...)“, so Franzobel, der heuer in Kärnten mehrfach präsent ist. Die neuebuehnevillach hat sein Stück „Ich, Zarah“ gespielt, für die diesjährige Kirchenoper des Carinthischen Sommers „Hemma“ hat er den Text geschrieben (Uraufführung 27. Juli).
In den Mittelpunkt seiner Klagenfurter Rede hat der gebürtige Vöcklabrucker den manischen Büchersammler Grünlich gestellt, eine Kunstfigur seiner deutschen Künstlerfreunde Kay Voigtmann und Joachim B. Schulze. Dieser Grünlich nun „ist überzeugt, dass es in spätestens fünfzig Jahren keine Bücher mehr geben wird, nur noch E-Books mit virtuellen Protagonisten, Avatars, die einem gleich die ganze Handlung vorspielen.“ Weshalb Grünlich in seiner Wohnung, später in einem aufgelassen Salzstollen, Millionen von Büchern verwahrt.
Franzobel teilt den Pessimismus seiner Kunstfigur nicht: „Es wird immer eine Sehnsucht nach Geschichten geben, nach Versuchen, das Leben zu bewältigen, zu bereichern und den Tod zu begreifen. Literatur speichert Erfahrungen und Empfindungen schneller als die Gene. Sie darf Dinge anders sehen, aussprechen, neu bewerten, Utopien entwerfen, unvernünftig und verrückt sein. Sie darf Dinge zurechtrücken, was gerade ziemlich notwendig zu sein scheint, denn die Welt ist ein übel riechender Schweinetrog geworden (...).“ Fehlendes Geld für Bildung, das Ignorieren der Kyoto-Protokolle und der Menschenrechtschartas, ertrinkende Flüchtlinge im Mittelmeer – Grauslichkeiten überall.
Doch „die Welt ist merkwürdig unpolitisch geworden, selbst die Politik ist zu einem Dschungelcamp verkommen, in dem es nur noch um Entertainment und Grauslichkeiten geht.“ Genau deshalb sei die Literatur so wichtig, schließt Franzobel, denn „Literatur ist Kampf! Kampf für Unterdrückte, für unangenehme Wahrheiten, unkonventionelles Denken, neue Formen, das Unmöglich.“ Grünlich lässt Franzobel übrigens am Ende unter einem Bücherberg sterben. „Denn es ist ja manchmal so, dass das, was man am meisten liebt, den Untergang bedeutet.“
Übrigens erinnert sich Franzobel in seiner „Klagenfurter Rede“, die gleichzeitig nicht nur als (vom Autor illustriertes) Buch erschienen ist, sondern auch unter bachmannpreis.orf.at nachgelesen werden kann, an seinen Sieg beim Bachmann-Preis zurück: „Meinen Eltern wurde, nachdem ich hier vor 22 Jahren gewonnen hatte, von einem Nachbarn zu meiner tollen Karriere als Friseur gratuliert. Nein, das war nicht ironisch gemeint, der Nachbar glaubte tatsächlich, da es in meiner Heimatgemeinde einen Friseur namens Bachmann gab, dass es sich beim Bachmannpreis um einen Wettbewerb für Nachwuchs-Friseure handeln müsse.“