Seinen 75. Geburtstag am Sonntag begeht Gottfried Helnwein im Kreise der Familie in seiner Geburtsstadt. "Ich bin Wien nach wie vor sehr verbunden", sagt der Künstler, der seit langem in den USA und in Irland lebt, im APA-Interview. "Vor allem fühlt man sich hier wie auf der berühmten Insel der Seligen. Unser System ist dabei, zusammenzubrechen - aber hier merkt man fast nichts davon. Sozialpartnerschaft und sozialer Friede sind so einzigartig wie die Qualität des Essens."

Auf den Einwand, auch hierzulande liege manches im Argen, bekommt man drastische Beispiele von anderswo serviert, wo der "Raubkapitalismus" die Gegensätze der Gesellschaft ständig vergrößere und große Bevölkerungsteile in die Armut treibe. In Los Angeles und San Francisco gebe es ganze Viertel, in denen Obdachlose und Drogenabhängige das Straßenbild dominierten, in Frankreich habe es kürzlich gewalttätige Unruhen gegeben, in Schweden regiere Bandenkriminalität, Deutschland schlittere in Richtung der radikalen Rechten. Wobei: Das klassische Links-Rechts-Schema ist für Helnwein überholt und durch eine Sicht in- und außerhalb des Systems ersetzt. Der internationale Rechtstrend habe weniger mit Ideologie als mit Protest zu tun, lautet die These Helnweins, der auch auf die kommunistischen Erfolge in Graz und Salzburg verweist: "Die einzige Art, gegen dieses System zu protestieren, ist, extrem zu wählen."

Nur Robert Kennedy Jr. sei nicht korrupt

Schwierig wird es, wenn das Gespräch auf die Lage in den USA kommt. Dass Helnwein den Einfluss des Military Industrial Complex für sehr hoch und Joe Biden für eigentlich amtsunfähig hält, daraus hat der Künstler in den vergangenen Jahren nie ein Hehl gemacht. Die Aussage, dass Donald Trump heute "bei einer fairen Wahl hundertprozentig gewinnen" würde, überrascht dennoch. Ist Trump nicht derjenige, der ständig behauptet, die Wahl Bidens verdanke sich nur Manipulationen, während er sich selbst in vielfacher Weise vor Gericht verantworten muss, Einfluss auf demokratische Vorgänge genommen, ja zum Umsturz aufgerufen zu haben? Er sei in keiner Weise Trump-Anhänger und würde ihn auch nie wählen, beteuert Helnwein, doch man solle "das Narrativ der Mainstream-Medien" nicht unhinterfragt übernehmen. "Wenn Sie selbst recherchieren, ergibt sich ein vollkommen anderes Bild." Der einzige Politiker, von dem er glaube, dass er nicht korrupt ist, sei Robert Kennedy Jr., sagt der Künstler. "Er ist ein Anwalt der kleinen Leute. Er kämpft gegen das Diktat der Großkonzerne. Und genau deswegen wird er eher wie sein Vater und sein Onkel enden (die beide erschossen wurden, Anm.), als dass das System zulassen würde, dass er zum Präsidenten gewählt wird."

Politische Kunst

Schwieriges Thema. Besser über Kunst reden. Die ist bei Gottfried Helnwein freilich auch politisch, wie nicht zuletzt sein Werk "My Sister" beweist, das auf einer Fläche von 3.000 Quadratmetern den Ringturm verhüllt und das blutverschmierte Gesicht eines Mädchens zeigt. Gewalt gegen Frauen und Mädchen ("Die sind keine Minderheit, sondern die Mehrheit!") sei eines der Grundübel unserer Zeit, ist der Künstler überzeugt. Den Friedensnobelpreis an die iranische Frauenrechtlerin Narges Mohammadi hält er für ein wichtiges und richtiges Signal. Schon immer habe er mit seinen Arbeiten Wirkung erzielen wollen. "Ich habe meine Kunst immer als Versuch des Dialogs verstanden. Ich habe früh die Sehnsucht entwickelt, Museen und Galerien zu verlassen." 1988 sei er in Köln mit einer Installation erstmals in den Außenraum gegangen, erzählt er. "Ich habe immer davon geträumt, dass Billboards nicht für Werbung, sondern für Kunst genutzt werden sollten."

In seiner Kunst konzentriere er sich auf das Schicksal des Menschen. "Ich versuche, die humanitäre Katastrophe sichtbar zu machen. Das kann ich aber nur symbolisch und metaphorisch - sonst hätte ich Journalist oder Karikaturist werden müssen." Die Klimakatastrophe hält er hingegen für medial übertrieben. Wieder landet das Gespräch bei seiner Kritik am gesteuerten Mainstream der Meinungen, dem man eigenes Denken und eigene Recherche entgegenhalten müsse. "Ich glaube nicht, dass man das alles so vereinfachen kann, wie es getan wird." Ja, das Klima werde extremer, aber da habe es immer schon Schwankungen gegeben. Die Waldbrände seien überdies alle gelegt. "Es ist ein bisschen differenzierter als medial dargestellt." Und die Klimaaktivisten sollten sich besser dort ankleben, wo die Verursacher des größten CO2-Ausstoßes zu finden seien: Bei den Großkonzernen und vor den Kasernen der US-Armee. Sich auf Straßen anzukleben oder Monet-Bilder in Museen anzuschütten - davon halte er überhaupt nichts, wettert der Künstler.

Schau in der Albertina

Monet? Gelegenheit für eine rasche Überleitung auf unvermintes Terrain: In der Albertina wird in Kürze eine große Schau mit Werken aus den vergangenen 20 Jahren eröffnet. Was bedeutet ihm diese Ausstellung? "Die Albertina hat bereits 1979 Federzeichnungen von mir gezeigt. Sie ist mir eine echte Heimat geworden. Dafür bin ich sehr dankbar." Seine letzte große Albertina-Retrospektive habe den größten Publikumszuspruch verzeichnet, den dort je ein zeitgenössischer Künstler gehabt habe, erzählt Gottfried Helnwein stolz. "Die Besucher meiner Ausstellungen sind ganz anders als das übliche Ausstellungspublikum. Und auch ihre Emotionen." Nicht selten weinten Menschen beim Anblick seiner Bilder.

Das vor zwei Jahren im nördlichen Waldviertel erworbene Barockschloss soll künftig sein Archiv und seinen Nachlass beherbergen. "Ich will, dass mein Werk in Österreich landet." Dass daraus einmal ein Helnwein-Museum mit Ausstellungen entstehen könnte, hält der Künstler für eher unwahrscheinlich. "Der Ort ist zu abgelegen."