20 Jahre nach Eröffnung des Grazer Kunsthauses kehrt der britische Architekt Colin Fournier, gemeinsam mit Peter Cook, Schöpfer des Grazer Kunsthauses, zurück in die Stadt. Heute bestreitet er hier öffentliches Programm im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten.

Wenn Sie nach 20 Jahren das Kunsthaus betreten, was interessiert am meisten?
COLIN FOURNIER: Ich möchte mir ganz unvoreingenommen ansehen, wie das Gebäude älter geworden ist, wie das Haus heute benutzt wird und wie die Öffentlichkeit zu den Aktivitäten im Kunsthaus steht. Wir wollten immer ein inklusives Haus, auch hinsichtlich Alltagsgeschehen. Daher freut es mich, dass es dort ein erfolgreiches Restaurant gibt.

Das heute an anderer Stelle liegt als ursprünglich.
Wir wollten den Haupteingang schon immer vom Südtiroler Platz durch das ehemalige Eiserne Haus führen, der Zugang sollte Teil des Straßenlebens sein, wie ein Geschäftseingang und nicht wie der einer isolierten Institution. Daher bin ich neugierig, wie das gelöst wurde – ob der Eingang integriert ist oder ob das Restaurant da eine Barriere bildet. Wie gesagt, ein erfolgreiches Restaurant ist ein gutes Asset für das Gebäude, ich möchte das also nicht vorab beurteilen. Hauptsächlich freue ich mich darauf, die neue Direktorin Andreja Hribernik zu treffen und zu erfahren, was sie alles vorhat.

Colin Fournier heute über das Kunsthaus: "Mich freut es natürlich, wenn die Leute auf das Gebäude positiv reagieren, aber wir wollten es nie selbst zum Kunstwerk machen."
Colin Fournier heute über das Kunsthaus: "Mich freut es natürlich, wenn die Leute auf das Gebäude positiv reagieren, aber wir wollten es nie selbst zum Kunstwerk machen." © CF

Das Kunsthaus-Programm ist interessant, dennoch scheint die Zuneigung der Öffentlichkeit für das Kunsthaus oft größer als das Interesse für die Kunst. Ist so etwas typisch? 
Mich freut es natürlich, wenn die Leute auf das Gebäude positiv reagieren, aber wir wollten es nie selbst zum Kunstwerk machen. Es sollte der Kunst dienen, die Leute sollten wegen seiner Inhalte angezogen werden. Der Dialog zwischen Künstler und Gebäude war uns wichtig, so wie bei der eindrucksvollen Installation von Sol LeWitt.

Seine berühmte "Wall" wird im Zuge des Jubiläums reinstalliert.
Das freut mich sehr, weil diese Arbeit die Architektur direkt befragt und provoziert.

Hätte mehr derartiger Dialog zwischen Kunst und Bauwerk das nach 20 Jahren noch immer präsente Narrativ von den schwierig zu bespielenden Kunsthaus-Räumen gelöst?
Schwer zu beantworten. Sol LeWitt war von der Herausforderung sehr stimuliert, und vielleicht wäre es schön, so etwas öfter im Kunsthaus zu haben. Aber ich war zu lange weg, um das beurteilen zu können.

Für mehr ortsspezifische Auftrags-Installationen braucht es halt entsprechende Budgets, viele Kunsthäuser und Museen kämpfen derzeit mit Kürzungen.
Das ist natürlich ein Problem vieler Häuser. Ich hoffe, dass neue Technologien, wie das Metaverse oder Virtual Reality in Zukunft weniger kostspielige Arbeiten ermöglichen. Das wäre im Kunsthaus einfach. Je mehr es in Richtung immaterielle oder audiovisuelle Arbeiten geht, desto mehr lässt sich mit knappen Budgets machen. Aber natürlich weiß keiner von uns wirklich, wie sich das in Zukunft entwickeln wird. Das Schöne am Kunsthaus ist aber, dass es als flexible Plattform gedacht war und nicht rund um eine Sammlung gebaut wurde. Das halte ich für einen enormen Vorteil, und ich bin neugierig, wie beweglich diese Plattform wirklich ist.

De facto gab es in den letzten 20 Jahren etliche recht konventionelle Ausstellungen, nicht nur ortsspezifische Installationen.
Da bin ich wie gesagt neugierig, was die neue Direktorin vorhat. Als Architekt lässt man sein Werk mit der Fertigstellung zurück, aber wenn ich dabei helfen könnte, die Flexibilität des Gebäudes nutzbar zu machen, würde ich sehr gern in die Diskussion einsteigen.

Die Fassade sollte ursprünglich eine weiche, veränderbare Membran sein – die war damals aber nicht herstellbar, man einigte sich auf eine Fassade aus geformten Plexiglasteilen. Wäre ein Bau mit dem ursprünglich angedachten Material mittlerweile möglich?
Bei zwei Dingen habe ich seit der Fertigstellung des Kunsthauses immer den Bedarf nach weiteren Entwicklungen gesehen: die Haut und die Nozzles (die "Rüssel" auf dem Kunsthaus-Dach, Anm.). Die Außenhaut des Gebäudes sollte ursprünglich eine nahtlose Membran sein, inklusive eines elektronischen Displays und Sonnenkollektoren. Wir wollten, dass die Haut Energie für das Gebäude generiert und dass es wie ein Chamäleon die Farbe wechseln kann. Das war damals nicht möglich, und wir haben unsere Ideen umgesetzt, so gut es damals eben ging. Mittlerweile gibt es mit dem 3D-Drucker eine radikale neue Technologie, die z.B. sehr große Doppelkurvaturen ermöglicht. Quasi in Fortsetzung der Recherchen, die wir damals für das Kunsthaus betrieben haben, arbeite ich derzeit an einem Projekt im chinesischen Shenzhen, bei dem das umzusetzen hoffe.

Die Idee der Lichtzufuhr über Nozzles wie auf dem Kunsthaus-Dach beschäftigt Sie auch weiterhin?
Das ist ein zweiter Fokus meiner Arbeit. Die Nozzles sind von außen sehr prominent, aber sollten gar nicht so sehr Tageslicht ins Obergeschoß leiten, weil wir davon ausgingen, dass die meisten Kuratoren lieber Kunstlicht verwenden. Aber es ist seither eine meiner Obsessionen, ein Haus mit maximalem Tageslichtzugang zu entwerfen, das komplett durch natürliches Licht erhellt wird. Bis heute ist das noch niemandem gelungen, und es ist einer der Schlüsselbereiche, für die sich die zeitgenössische Architektur interessiert.

Anno 2003, bei der Kunsthaus-Eröffnung, sagten Sie, das ganze Kunsthaus sei eine "Einladung zum Experiment". Wie gut wurde dieser Einladung gefolgt?
Jede experimentelle Architektur ist ein "work in progress", auch das Kunsthaus. Wir hatten damals die ganze Zeit das Gefühl, mit dem, was wir da bauten, am Rand des Möglichen zu sein. Interessant ist, dass das Gebäude tatsächlich einen Einfluss auf den Zeitgeist hatte – als Prototyp oder frühes Beispiel organischen, biomorphen Bauens. Seither wurde das zu einem der dominanten Trends in der zeitgenössischen Architektur. Ich war mit der verstorbenen Zaha Hadid gut befreundet, ihre Architektur war damals sehr kantig, dekonstruktivistisch. Sie kam nach Graz, um sich das anzusehen, wir haben über die Veränderung des Zeitgeistes diskutiert, und auch ihre Architektur ist danach sanfter geworden.

Hat das Kunsthaus überhaupt dazu beigetragen, dass Kunstbauten heute so oft die Sprache der Architektur erweitern oder gar Wahrzeichencharakter haben müssen?
Das hat natürlich mit Frank Gehrys Museumsbau in Bilbao zu tun. Der Bilbao-Effekt war sicher einer der Gründe für unseren Erfolg im Grazer Wettbewerb. Alle waren davon ermutigt, und seither gibt es viel mehr Freiheit in der Sprache der Architektur. Ich denke aber, wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Die Entwicklung vom Nicht-Organischen zum Organischen war bisher eine visuelle. Der Biomorphismus von heute ist ein frühes Stadium, im nächsten werden Bauwerke nicht mehr inaktiv sein, sondern sich wie lebendige Wesen verhalten, die mit uns interagieren. Die automatisch ihre Temperatur anpassen, Fenster öffnen und schließen. Die Architektur wird lebendig, da fließt mehr und mehr intelligentes Verhalten ein, aber wir stehen damit noch ganz am Anfang. Insofern ist das Kunsthaus ein Zeichen für etwas, das in Zukunft geschehen wird, aber wir sind noch nicht dort angelangt.