Fallende Blätter
Bewertung: ****

Aki Kaurismäki ist ein alter Romantiker. Mit "Fallende Blätter" entführt er tief hinunter in die finnische Seele. Sein Finnland ist paradox: so trostlos wie hoffnungsvoll, so grau wie bunt, so einsam wie menschlich warm.
"Fallende Blätter – Kuolleet Lehdet" erzählt von zwei sogar für finnische Verhältnisse einsamen Seelen. Ansa und Holappa sind typische Arbeitende, sie in einem Supermarkt, er in einer Fabrik. Das erste Mal kreuzen sich ihre Blicke in der Karaokebar, während jemand eine Schubert-Serenade singt. Wie in jedem anständigen Romantik-Film gibt es Anlaufschwierigkeiten – und das liegt nicht einmal an den wortkargen Finnen. Wie also die Hoffnung auf Liebe in so kalter Atmosphäre aufrechterhalten?


Kaurismäki zaubert um seine beiden verlorenen Seelen eine wunderbar nostalgische Welt, in schön-künstliches Licht getaucht und mit minimalistischen Szenen, die ebenso gut auf einer Theaterbühne spielen könnten. Der Humor ist wie gewohnt staubtrocken, irgendwo zwischen den wenigen Zeilen der Figuren (die man im finnischen Original genießen sollte).
Nach seinen politischen Parabeln "Le Havre" und "The Other Side of Hope" fokussiert sich dieser Film auf zwei Alltagsfiguren, die man sofort ins Herz schließt. Doch Realitätsflucht kann man Kaurismäki nicht unterstellen. Neben Alkohol- und Arbeitsmarkt-Problemen dröhnt auch immer wieder die Grausamkeit des russischen Angriffskrieges in der Ukraine aus dem Radio, der in Finnland näher ist. All das dient als Kontrast für die Hoffnung der beiden Liebenden. Und funktioniert in seiner Einfachheit ganz wunderbar.
Der mittlerweile zum Altmeister gereifte Regisseur weiß, was er will. "Fallende Blätter" bringt mit seinen 81 Filmminuten kein Gramm zu viel auf die Kinowaage. Selten wirkt ein Film so klein und zugleich so komplett. (Marian Wilhelm)

A Haunting in Venice
Bewertung: **

Der aufgezwirbelte Schnurrbart hat nichts an Lächerlichkeit eingebüßt, sonst hätte vieles anders kommen sollen in "A Haunting in Venice". Eigentlich hat sich der belgische Meisterdetektiv Hercule Poirot (Kenneth Branagh) in Venedig im Jahr 1947 mit atemberaubender Dachterrasse zur Ruhe gesetzt. Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, Poirots Glauben an die Menschheit sowieso.
Bis seine Freundin Ariadne Oliver (Tina Fey) auftaucht und ihn zu einer Séance in einen abgewrackten und gerüchteweise von Geistern besetzten Palazzo zur Operndiva Rowena Drake (Kelly Reilly) mitnimmt. Ein Medium (Paraderolle für Oscarpreisträgerin Michelle Yeoh) soll Kontakt zu einem Mädchen aufnehmen, das sich vom Fenster in den Kanal stürzte und starb. Man wollte sie entlarven. Doch schon bald beherbergen die dicken Gemäuer neue Geheimnisse und neue Tote. Poirot lässt alle einsperren und nimmt die Ermittlungen auf. Mit "A Haunting in Venice" nach dem wenig bekannten Roman "Die Schneewittchen-Party" von Agatha Christie schlägt der Regisseur Branagh respektive die Poirot-Reihe neue horrorlastige Töne an. Das geht trotz Starensembles zuweilen gehörig schief. Die schräge Kamera zeigt in vielen Schwenks ein kitschig-pittoreskes und leeres Venedig, die Geister der Vergangenheit plagen Poirot, die Liste der Verdächtigen ist lang und undurchsichtig. Mit den zwei Vorgängern "Mord im Orient Express" und "Tod auf dem Nil" kann Teil drei nicht mithalten.
Der Funke will nicht überspringen, zu plakativ, farbsatt und vorhersehbar ist alles inszeniert. Nur die Musik von Oscarpreisträgerin Hildur 
Guðnadóttir ist ein Höhepunkt und überrascht mit ihrer Sinnlichkeit und Präzision. (Julia Schafferhofer)

Retribution
Bewertung: ***

Action im Zeichen des Minimalismus: Handlungsort dieses Liam Neeson-Thrillers ist ein Auto, das nicht verlassen werden darf. Sonst fliegt es in die Luft. Dafür zitiert Regisseur Nimród Antal nicht aus Filmen wie "Speed" und "Nicht auflegen!"; sein Film ist ein Remake des spanischen "El desconocido". Als Banker Matt (Neeson) seine Kinder zur Schule fährt, klingelt ein fremdes Handy. Ein Unbekannter erklärt, im Wagen sei eine Bombe, Matt müsse tun, was er von ihm verlangt. Antal lädt den reduzierten Handlungsspielraum so mit Suspense auf, dass sich die Dramatik nicht gleich verläuft. Zwar bleibt "Retribution" ohne Biss, ist aber eine Abwechslung zu all dem Visual-Effects-Bombast, den man sonst sieht. (Susanne Gottlieb)

Das Tier im Dschungel
Bewertung: ***

Die Nacht hat ihre eigenen Gesetze. Der Ort der Verheißung in Patric Chihas fiebrigem Film ist ein namenloser Nachtklub in Paris, wo eine Schicksalsgemeinschaft Samstag für Samstag die Freiheit, den Rausch, die Körperlichkeit, die Flucht vor dem Alltag und das Jetzt feiert; zum Ritual erhebt. Die Türsteherin (großartig: Punk-Legende Béatrice Dalle) scannt mit Expertise am Eingang, wer überhaupt rein darf. Sie fungiert als Erzählerin. "Das Tier im Dschungel" funktioniert aber auch als einmal soghafte, einmal langatmige Langzeitbeobachtung zweier einsamer Seelen (toll: Anaïs Demoustier, Tom Mercier) und ihrer verpassten Chancen. Und während getanzt wird, ziehen Aids, der Mauerfall sowie 9/11 vorüber. (Julia Schafferhofer)