"Im Frühling zog eine junge Frau in die Erdgeschoßwohnung ein." Bedenkt man, dass eine im ersten Akt stolz präsentierte Kristallschüssel am Ende mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Brüche geht, dann verheißt dieser harmlose erste Satz in Drago Jančars neuem Roman nichts Gutes. Er hat etwas mit der zu Beginn der Geschichte herumgereichten Pistole, die später abgefeuert wird, zu tun.

Erneut siedelt der slowenische Autor Personen und Handlung in seiner Geburtsstadt Maribor an. Der zwölfjährige Danijel beschreibt den Einzug der schönen Helena, in die sich der Bub gleich einmal verschaut. Durch den Spalt zwischen den Spitzenvorhängen an ihrer Eingangstür spechtelt er in die Wohnung, kriegt mit, wie der ebenso gutmütige wie schwerfällige Spengler Pepi seine Schuhe Größe 48 neben dem Sofa abstellt. Ein paar Wochen später wird, immer wenn Pepi auswärts einen Auftrag erledigt, ein gewisser Ljubo mit Schnurrbart und Lederjacke auf dem Motorrad in die Straße knattern, mit Lena in die Disco (und wohl auch ins Bett) gehen und alle in der Nachbarschaft werden sich das Maul zerreißen. Wo sie doch mit dem Pepi quasi verlobt ist.

Diese Dreiecksbeziehung – sie wird übel ausgehen – bettet Jančar souverän in das Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Knautschzone zwischen sozialistischem Vaterland, Abrechnungen, Tito-Verehrung, Tradition und dem, was man Schicksal nennt, ist das Spezialgebiet vom Träger des Österreichischen Staatspreises für Europäische Literatur 2020.

Danijel muss in der Schule den Pioniereid schwören, sein Vater war im Konzentrationslager und tagt nächtelang mit seinen Partisanenfreunden daheim in der Küche, seine Mutter nimmt ihn mit zu den Kapuzinern. Bei dem pensionierten Geschichtslehrer Fabjan erfährt er so etwas wie philosophische Bildung, bei Pater Aloisius Geschichten aus der Bibel. Die auf Danijel einstürzenden Informationen nutzt Drago Jančar zu einer genialen Erzählmethode. Der Zwölfjährige als Beobachter seiner gleichaltrigen Freunde, der Erwachsenen und der Ereignisse zwischen Frühling und Spätherbst träumt sich weg in weite Fernen und andere Perspektiven.

Und schließlich reflektiert der erwachsene Danijel als Icherzähler seine Rolle und die Geschehnisse von damals. In diesen Passagen schillert der Text wie eine Fata Morgana.

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Buchtipp: Drago Jančar. Als die Welt entstand. Übersetzt von Erwin Köstler. Zsolnay, 270 Seiten, 27,50 Euro.