Knappe 95 Jahre alt geworden ist sie, die Marianne Haas, zwei Tage auf Erden sind ihr noch gegönnt. Da entschließt sich ihr Sohn, bei dem es sich wohl um Wolf Haas handelt, ihr Leben nachzustricken. Aus einem inneren Zwang heraus, wie der Autor behauptet. Aber zuerst muss er irgendwo da oben anrufen, dort, wo all die verstorbenen Angehörigen jetzt sind, und ihnen mitteilen, dass es der Mutter gut geht im Altersheim, wo sie ihre letzten Lebensjahre verbringt. Ausgestattet mit einem stattlichen Langzeitgedächtnis, aber die Demenz lässt sich nicht leugnen. Vor allem betrifft sie Ereignisse, die erst wenige Stunden zurückliegen. Aber was macht das schon in diesem ehrwürdigen Alter?

Nach einigem Zögern tätigt der Erzähler einen Scheinanruf, berichtet vom angeblich guten Gesundheitszustand der Mutter, begeht aber einen fatalen Fehler. Auch all den anderen gehe es gut, lediglich der Vater habe einen leichten Schnupfen. Damit löst er eine Kettenreaktion an fürsorglichen Ratschlägen, aber auch dezenten Vorwürfen aus.

"Eigentum", schreibt Wolf Haas, sei ein schneller Text. Er lebe davon, dass er mit dem Tod um die Wette rennt. Hurtig hingeschrieben also. Schnickschnack. Zum einen verblüfft der aus Maria Alm stammende Erfolgsautor und neunfache "Brenner-Vater" durch eine bravouröse stilistische und erzählerische Vielfalt, zum anderen verfasste er erstmals ein Buch, das auch tiefe Einblicke in das Privatleben seiner Familie und seiner Herkunft bietet. Wobei immer ein Hintertürchen offen bleibt, falls die Wahrheit doch ab und zu hinausmarschieren mag.

Vieles davon erzählt die Mutter in eigenen Worten. Über ihre Lehr- und Wanderjahre, die sie als Kellnerin in die Schweiz führten, über das harte bäuerliche Leben und den Krieg, über die mehrfache, mühselige Suche nach einer Bleibe.

Leuchtzeichen der Ironie

Zwischendurch gibt schon auch die Ironie ihre Leuchtzeichen. Zumal sich Haas als Assoziationsbündel erweist. So kommt ihm mehrmals eine nahende Poetikvorlesung in den Sinn, zu der ihm bisher nur ein exzellenter Titel eingefallen ist: "Kann man vom Leben schreiben?" Dann wieder fällt ihm zu einer Reise nach Las Vegas, die in eine Reportage münden sollte, bloß eine Ernst-Jandl-Paraphrase ein. Aus Las Vegas wird "Lass weg Haas". Oder er listet die Varianten des Seufzens auf.

"Eigentum" ist ein emotionsreicher, berührender und auch augenzwinkernder Abstecher in die hintersten Winkel der Erinnerung, dorthin, wo die wahren, wunderbaren Geschichten zu finden sind.
Wer nun meint, es handle sich bei diesen Geschichten nur um Kleinigkeiten, der irrt sich freilich. In Wolf Haas steckt ein großer Skeptiker, der ein tiefes Misstrauen in die Sprache hegt und pflegt. Eigentlich sei die Erfindung der Sprache ein übertriebener Luxus, mehr noch, ein überflüssiger Wegwerfdreck, schreibt er.

Na ja, auch er ist in der Kunst der Übertreibungen ein Großmeister, der anscheinend so nebenbei großartige Doppeldeutigkeiten aus dem Ärmel schüttelt, fernab von Klischees.

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Buchtipp: Wolf Haas. Eigentum. Hanser, 160 Seiten, 23,50 Euro.