Handke verfilmt Handke. An sich wäre das ein Muss für Kulturinteressierte. Bei "Mein Satz" liegen die Dinge etwas komplizierter. Amina Handke hat das von ihrem Vater Peter geschriebene und 1968 von Claus Peymann uraufgeführte Theaterstück "Kaspar" als Vorlage für ein absurdes filmisches Sprach- und Bilderrätsel genommen, in dem ihre Mutter Libgart Schwarz im Zentrum steht. 85 Minuten radikales, surreales Kino, das ab Donnerstag gezeigt wird.

Er hätte sein Stück auch "Sprechfolterung" nennen können, hat Peter Handke in der Vorrede zu seinem Text angemerkt, in dem er auf die beiden Philosophen Fritz Mauthner und Ludwig Wittgenstein ebenso Bezug nimmt wie auf den berühmt gewordenen "Findling" Kaspar Hauser. Sprache wird nicht als Mittel zur Weltaneignung, für Kommunikation und Ausdruck eigener Gedanken gezeigt, sondern als Herrschaftsinstrument und disziplinierende Struktur. Damit konnte sich Handke auch eins wissen mit dem Aufbegehren der Studentenbewegung.

Genial oder banal?

"Mein Satz" stellt seine Sprachkritik in ein künstliches Setting, in dem eine verwirrt wirkende ältere Frau gleichzeitig Künstlerin und Patientin zu sein scheint. Sie lernt Text und trifft sich, das Textbuch unterm Arm, mit drei weiteren Frauen zum Dreh. In einem kleinen Raum sitzt das Quartett, mit Namensschildern ausgewiesen als "Helga Illich – Therapeutin", "Caroline Peters – Stylistin", "Amina Handke – Tochter" und "Libgart Schwarz – Ich". Der Film hat seine witzigen, ironischen und charmanten Momente. Dennoch ist man mit Fortdauer dieses die Schauplätze zwar wechselnden, stilistisch aber insistierenden und retardierenden Familien-Kunst-Films immer unsicherer: genial oder banal?

Eine Wohnung wird ausgeräumt, eine Bahnreise unternommen, eine Schulklasse besucht, ein Esel spazieren geführt. Es gibt Szenen im Krankenhaus und auf der Theaterbühne, Dinge werden mit Post-its benannt und umbenannt. Feststellungen werden getroffen. Manche Sätze werden schwer, manche Worte ganz leicht. Es gibt Versuche der Orientierung, aber keine Gewissheit.

"Ich möcht' ein solcher werden, wie einmal ein andrer gewesen ist", übt Schwarz den ersten "Kaspar"-Satz mit vielen verschiedenen Betonungen. Immer wieder trifft sie absurd scheinende Aussagen und horcht ihnen nach, quasi als lebende Text-Bild-Schere in Großaufnahme. Die Tochter filmt die Mutter, die Sätze spricht, die der Vater vor 55 Jahren geschrieben hat.

Am Ende liegt die Protagonistin mit geschlossenen Augen in einem Bett und spricht langsam ihre Abschiedssätze: "Der Schmerz wird absehbar. Die Zeit muss aufhören. Die Gedanken werden ganz klein." Beim Abspann ertappt man sich bei dem Gedanken: Es gibt wohl ein Leben nach der Sprache, aber gibt es auch eine Sprache nach dem Leben?