Macht macht anziehend. Wenn die Angezogenen beteiligt werden. Macht macht abstoßend. Wenn der Mächtige auf keinen mehr hört außer auf sich selbst. Paradoxon: Er hebt ab und fällt zugleich. Das war in babylonischer Zeit so. Das wird auch in Putin'scher Zeit so sein.
Von einem solchen Fall-Beispiel erzählt auch „Belshazzar“. Die von Georg Friedrich Händel 1745 als Oratorium vertonte Bibelgeschichte handelt vom babylonischen König, der gegen den Gott der Israeliten frevelt. Eine Geisterhand schreibt ein Menetekel an die Wand, das Belshazzar den Tod und seinem Reich den Untergang durch die Perser prophezeit.
Am Theater an der Wien gelingt es der Französin Marie-Eve Signeyrole in ihrer dichten Deutung, die historische Allgemeingültigkeit dieser Parabel von der Hybris Herrschender zu unterstreichen, diese bis auf kleine Ausnahmen aber auch fast bruchlos als ökologische Mahnung ins Jetzt zu holen.
Das Geschehen läuft auf drei Ebenen ab. Vor und auf Fabien Teignés klarer Guckkastenbühne selbst. Und darüber in Projektionen von Nahaufnahmen, meist live von zwei Kameramännern auf der Bühne gedreht. Diese „optischen Übertitel“ wirken, anders als bei vielen überstrapazierten Leerlauf-Videos an Theatern, als starker Zusatzkommentar.
Da gibt es in dem Bericht aus dem Zwischenstromland das heute mehr denn je heikle Kapitel Wasser als Menschenrecht, das wortwörtlich allmählich zugrunde geht. Im Biolabor hängender Gärten wird an ewiger Jugend geforscht, Klimaaktivisten treten auf, Last Generation 543 v. Chr. Es gibt Einstiege in ein „Royal TV“ mit eben diesen Live-Bildern, eine Fashion Show (beeindruckend alle Kostüme der Berlinerin Yashi Tabassomi). Der König darf seinen neuesten Song ins Mikro röhren. Babylon sucht den Superstar. Nein, hat ihn. Und die Fans kreischen ihm zu.
Aber dieser ist zugleich ein Barbar, wie er im Buche der Bücher steht. Ein scheinbar Unberührbarer, der selbst gern und rücksichtslos berührt. Eine Art Harvey Weinshazzar, der mit seinen Hormonattacken sogar vor seiner Mutter nicht halt macht: #YouToo, Nitocris…
Diese wird von Jeanine De Bique mit der feinen Melancholie einer Frau gesungen, die den Eilschritten ihres Sohnes in den moralischen Untergang ohnmächtig zusehen muss. Darstellerisch großartig Robert Murray als Tyrann Belshazzar, der Tenor des Briten leuchtete bei der Premiere allerdings nicht nur. Nach einem Warmup spielt und singt die Mezzosopranistin Vivica Genaux behende den letztlich siegreichen Perserkönig Cyrus, der findet Unterstützung im Überläufer Gobrias (präsent der deutsche Bassbariton Michael Nagl). Und mit warmem Sopran brilliert Eva Zaïcik als blinder Seher Daniel.
Zwei Stützpfeiler tragen diese imposante, mit einer zwölfköpfigen Tanztruppe bereicherte Produktion in der Halle E des Museumsquartiers. Zum einen der glänzende Arnold Schoenberg Chor in den Massenszenen der Perser, Babylonier und versklavten Juden. Und zum anderen L‘Arpeggiata, der musikalische Vielvölkerstaat von Christina Pluhar. Mit ihm zeigt die in Paris lebende Grazerin großes Originalklangverständnis, mit etlichen freigeistigen Brüchen aber auch einmal mehr, dass die erste Rockzeit die Barockzeit war und Händel ihr Frontman.
Ein paar Buhs für die Regie, sonst Standing Ovations.
Michael Tschida