Fürs Gesundbleiben und Altwerden hatte Friedrich Cerha ein gutes Rezept: „Ich war von Kindesbeinen an dem Wein zugetan und habe schon immer gern viel Knoblauch gegessen.“

Das Rezept hat lang gewirkt. Noch im hohen Alter suchte „das Urgestein im Gebirge der österreichischen Avantgardemusik“, wie ihn die Austria Presse Agentur in ihrem Nachruf so stimmig nennt, stets nach Neuem. Zu seinem 90er sagte der Wiener: „Der Weg, auf dem ich suche, führt notgedrungen zu mir selbst. Es geht also auch noch immer darum, neue Seiten an mir selbst zu finden. Das intensive Erleben von Musik ist ein Weg in sich hinein – auch für den Zuhörer.“ Gestern ist der Suchende gegangen, vier Tage vor seinem 97. Geburtstag.

Wer 1926 geboren wurde, hatte hierzulande schlechte Karten. Auch Cerha wurde zum letzten Aufgebot gezählt und noch vor Abschluss des Gymnasiums als Luftwaffenhelfer eingezogen. Über das Ende des Krieges, in dem er an der Ost- und Westfront diente, in Gefangenschaft geriet und im Frühjahr 1945 in die Tiroler Alpen desertierte, sagte er: „Die Niederlage der Nazi-Herrschaft war mein allergrößtes Glückserlebnis. Die Befreiung von den Nazis habe ich wie eine zweite Geburt empfunden: Ich konnte wieder frei über mein Leben verfügen.“

Musikbeispiel: "Spiegel I-VII" Für großes Orchester und Tonband. Gesamtzyklus (196-61)


Cerhas Leben wurde ganz und gar die Musik. Er studierte in seiner Heimatstadt Wien Violine, Musikerziehung, Komposition, Germanistik und Philosophie. Um seinen Unterhalt zu fristen, spielte er auf Bahnhöfen den sich verabschiedenden russischen Offizieren vor den Waggons mit Geige und Akkordeon „Im Prater blühen wieder die Bäume“ und Ähnliches vor.

Von 1959 bis 1988 lehrte Cerha an der Wiener Musikhochschule. Schon 1958 gründete er gemeinsam mit Kurt Schwertsik das Ensemble „die reihe“, mit dem er der zeitgenössischen Musik Bahn brach und auch die sogenannte zweite Wiener Schule um Anton Webern, Arnold Schönberg und Alban Berg pflegte. Bergs unvollendet gebliebene Oper „Lulu“ vervollständigte Cerha nach Notizen des Komponistenkollegen, die Uraufführung des komplettierten Werks 1979 unter Pierre Boulez in Paris war ein Erfolg auch für ihn.

Noch mehr aber seine erste eigene Oper: „Baal“ nach einem Drama von Bertolt Brecht, 1981 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt, brachte ihm den internationalen Durchbruch. Auch mit weiteren Opern wie „Der Rattenfänger“ (nach Carl Zuckmayr, UA 1987 unter eigener Leitung beim steirischen herbst) oder „Der Riese vom Steinfeld (mit einem Text von Peter Turrini, UA 2002 an der Wiener Staatsoper) zeigte Cerha seinen Ausnahmerang in der Großform, sein Requiem (2004) betrachtet er als sein „Opus summum“, er war aber auch kleinen Werken zugeneigt, und das oft mit viel Witz, wenn er etwa „zehn putzi gedichti“ als Chansons vertonte.

Als Komponist, Dirigent und Wissenschaftler bewies Cerha stets offene Ohren und offenen Geist, mit Feinschliff schärfte er seine markante Klangsprache, dachte und handelte unangepasst und politisch kritisch. Und seine Arbeitsweise schien in seinen Worten simpel und leicht: „Ich habe nie für Heilserwartungen oder Menschheitsbeglückungen gearbeitet. Ich habe Musik gemacht, so wie ich atme“.

Kein Atmen mehr jetzt, aber die Musik bleibt.