Der Notar, stämmig und eulenäugig, liest mit tonloser Stimme von der Schriftrolle, lässt die „Indianer“ in La Florida wissen, dass ihr Land und sie selbst nunmehr im Besitz des spanischen Königs und der Königin seien, und ihren Rechtsanspruch verorteten die Eroberer sicherheitshalber gleich an höchster Stelle: bei Gott. Wenn sie, „die Indianer“, sich der Eroberung fügten, so der Notar weiter, würden sie Liebe und Barmherzigkeit erfahren; falls nicht, müssten sie mit Gefangenschaft und Tod rechnen.
Wir schreiben das Jahr 1527. Der spanische Konquistador Pánfilo de Narváez bricht mit einer Armada nach La Florida auf, um dort die indigene Bevölkerung zu unterwerfen und nach Gold zu suchen. Darüber – über die Arroganz, Grausamkeit, aber auch elementare Dummheit der Eroberer – hat die gebürtige Marokkanerin Laila Lalami ein ebenso grandioses wie perspektivisch ungewöhnliches Buch geschrieben.
Denn erzählt wird die Geschichte von Mustafa ibn Muhammad ibn Abdussalam al-Zamori, seines Zeichens marokkanischer Sklave und unfreiwilliger Teilnehmer an dieser chaotischen, letztendlich desaströsen Irrfahrt der Spanier.
Fein und kunstvoll verwoben in das blutige Eroberungsabenteuer hat Lalami die Lebensgeschichte Mustafas, beginnend bei dessen Geburt, aber auch die Abgründe nicht ausklammernd, denn der spätere Unfreie war früher selbst am Sklavenhandel beteiligt. „Der verbotene Bericht“ ist auf einer ersten Ebene ein praller, süffiger Roman voll verbaler Duftnoten; auf einer zweiten Ebene wird die folgende Frage verhandelt: Wer hat die Deutungshoheit über unsere Vergangenheit?
Der Bericht des Sklaven Mustafa ist eine gefinkelte Mischung aus Fakten und Fiktion, „Faktion“ könnte man das nennen. Im offiziellen historischen Bericht über die gescheiterte Eroberung taucht Mustafa, dort Estevanico genannt, übrigens auch auf – in einem einzigen Satz. „Die Eroberer sagten in ihren Reden nicht die Wahrheit, sie erschufen sie“, heißt es an einer Stelle des Romans. Das gilt wohl für alle Eroberungen. Bis heute.
Buchtipp: Laila Lalami. Der verbotene Bericht. Kein & Aber, 493 Seiten, 28,50 Euro.