Es hat zwölf Monate gedauert, ehe ich es gefunden habe: Mein Buch des Jahres. Anfangs war es etwas zäh, denn Miranda Cowley Heller spinnt in „Der Papierpalast“ (Ullstein) ihren Plot aus vielen verschiedenen Zeitebenen und Lebensgeschichten, die sich dann aber zusehends zu einem Erzählstrang und durchgängigen Schicksal zusammenfügen. Was anfangs nach einer sehr oberflächlichen Liebesgeschichte aussieht, wird schnell ein sehr schweres und intensives Buch rund um sexuellen Missbrauch, Alkohol, Patchworkfamilien, Mutter-Tochter-Probleme, Klassenunterschiede, enttäuschte Gefühle und schicksalhafte Begegnungen. Ein wirklich tolles Buch, das mich zum Lachen und zum Weinen gebracht hat und nach dem ich nicht mehr in Schwung für ein neues Buch kommen kann.
Daniela Soykan

Diese zwei Bücher haben mich heuer besonders angesprochen: Melanie Wolfers’ „Zuversicht – Die Kraft, die an das Morgen glaubt“ (bene Verlag). Wolfers beschreibt darin aus eigener Sicht die Kraft der Zuversicht auch in ganz schwierigen und prekären Situationen. Nie mit erhobenem Zeigefinger oder schulmeisternd, sondern immer empathisch und sich der Schwierigkeiten bewusst. Ein Buch, das dazu ermuntert, dem Leben „Gelegenheit zu geben“, sich gut entwickeln zu dürfen – auch in schweren und Krisen behafteten Zeiten. Ein durch und durch menschliches, ja beinahe ein zärtliches Buch. Mein zweiter Tipp: Bekim Sejranovic: „Ein schönerer Schluss“ (Folio Verlag). Ein Bosnier flüchtet nach Norwegen, wird dort unter anderem Lehrer für die norwegische Sprache und findet sich Zeit seines Lebens in einer „überzivilisierten“ Gesellschaft wieder. Er pendelt zwischen seiner „Balkan-Prägung“ und der Kultur seiner neuen Gesellschaftsgenoss:innen. Ein inniger und mit sehr viel „Eigenbeleuchtung“ geschriebener Roman des leider schon 2020 verstorbenen bosnischen Autors.
Peter Schwanter

Ich möchte drei Bücher „nominieren“: „Hast du uns endlich gefunden“ (Rowohlt) von Edgar Selge sind nachkriegsdeutsche Kindheitserinnerungen eines Zwölfjährigen an seinen musikbegeisterten, aber auch antisemitischen und gewalttätigen Vater. „Ich will nicht der sein, der den liebt, der ihn schlägt.“ Mir gefiel die einmal andere Art, diese Zeit zu betrachten. „Aufschrei. 30 Anstöße für eine mutigere Welt“ (Hanser) von Roberto Saviano. Die Zivilcourage von verschiedenen Persönlichkeiten (Edward Snowdon, Martin Luther King) sollen Inspiration sein für die Veränderbarkeit der Dinge. Die 30 Schilderungen sind geprägt von Savianos Einsatz für Gerechtigkeit und Courage. Und Florian Illies schließlich erzählt in „Liebe in Zeiten des Hasses 1929-1939“ (S. Fischer) von den großen Liebespaaren (Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, Henry Miller und Anaïs Nin, Bert Brecht und Helene Weigel) in den goldenen 20er Jahren bis zur beginnenden nationalsozialistischen Katastrophe.
Ursula Wilhelm


Ein Debütroman – und was für einer! „Ein Frage der Chemie“ (Piper Verlag) von Bonnie Garmus. Die junge, schöne und vor allem kluge Elisabeth Zott geht im frauenfeindlichen Amerika der 50er- und 60er-Jahre beharrlich ihren Weg. Der trockene Humor, mit dem die Ungeheuerlichkeiten beschrieben werden, die ihr widerfahren, ist wunderbar: Man lacht, schluckt und leidet mit. Manches mag überzogen sein, für mich trotzdem das unterhaltsamste Buch des Jahres.
Andrea Praßl-Schantl


Mein Buch des Jahres: „Todesrache“ (Goldmann) von Andreas Gruber. Der neue Thriller mit Maarten S. Sneijder und Sabine Nemez. Der vorletzte Thriller, „Todesschmerz“, endete mit einem Cliffhanger. Nemez ist mit einem Schiff untergegangen, und es blieb unbeantwortet, ob sie diesen Unfall überlebt hat. Fans dieser mit hohem Spannungspotenzial versehenen Thrillerserie mussten lange auf die Fortsetzung warten.
Andreas Gruber hat wieder einmal bewiesen, dass seine Bücher einen hohen Spannungsmoment haben, die man ungern aus der Hand legt, solange man nicht die letzten Seiten erreicht hat. Ganz im Gegenteil: Nach den letzten Zeilen wartet man schon auf die nächste Neuerscheinung über diese beiden großartigen Protagonisten.
Franz Maier

Kürz und bündig meine Bücher des Jahres: Colson Whitehead: „Underground Railroad“ (Fischer). James A. Michener: „Chesapeake Bay“ (KNV). Gerard Donovan: „Winter in Maine“. (btb). Cixin Liu: „Trisolaris – Die Trilogie“ (Heyne). Allesamt fesselnde und bildende Lektüre.
Heinz Schütz


Woher bloß die Zeit nehmen, um auch noch ein Buch über die zu lesenden Bücher zu lesen? Aber manchmal braucht man diesen Kick von Seiten der Literaturkritik, vor allem wenn es ein so spannend zu lesendes Buch ist wie Michael Maars „Die Schlange im Wolfspelz“ (Rowohlt). Alle 50 von ihm vorgeschlagenen Werke werden sich freilich nicht ganz ausgehen.
Franz Zeder


Nur einige meiner Lieblingsbücher des Jahres: „Die Letzten werden die Ersten sein“ (Piper) von Lionel Shriver. Jeder Mensch, der sich dem Alter nähert, möge dieses Buch lesen. Es ist trocken und unromantisch geschrieben – und trotzdem voller Humor. „Der Chauffeur“ (Piper) von Heinrich Steinfest. Ebenfalls ein trockener Stil, aber stets interessante Wendungen und eine gute Sprache. „Morgen kann kommen“ (Rowohlt Wunderlich) von Ildikó von Kürthi. Locker, witzig und doch sehr tiefsinnig geschrieben. Ein sehr feiner Roman. „Offene See“ (DuMont) von Benjamin Myers Das ist das, was man „ein gutes Buch“ nennt.
Sonja Selic


Erklärter Favorit: Maria Lassnigs „Ich bin ganz Landschaft“ (Ritter Verlag). Diesem ungeheuren, genauestens recherchierten Werk von Maria Nicolini sollte in Klagenfurt beziehungsweise Kärnten und darüber hinaus mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Monika Banko


Nein, mein Buch des Jahres ist keine „hohe“ Literatur (wobei ja auch das im Auge des Lesers liegt), und nein, es ist auch keine Neuerscheinung. Johannes Mario Simmel: „Es muss nicht immer Kaviar sein“ (Knaur). Beim Stöbern im Buchfundus meiner Altvorderen ist mir zwischen Kästner, Pearl S. Buck und Sienkiewicz dieses Buch ins Auge gestochen. Es hat mich auf charmante Weise in die Zeit des 2. Weltkrieges bis in die Zeit des Wirtschaftswunders entführt, ohne in Trivialität abzugleiten oder die Schrecken zu verharmlosen. Bei allem anklingendem Humor spürt man die tiefe humanistische und pazifistische Einstellung des Autors.
Gerhild Henke