Er trägt die Trauer im Blick. Aber wenn er zu seinen geliebten Worten greift und seine Gedichte vorliest, öffnet sich das Gesicht von Yodgor Obid, wird lebhaft, kämpferisch fast, obwohl es eben diese Gedichte sind, die den usbekischen Lyriker in jene Lage gebracht haben, in der er sich seit mehr als 30 Jahren befindet.

Yodgor Obid, heute 82 Jahre alt, musste seine Heimat fluchtartig verlassen, weil den Machthabern seine Worte zu politisch waren. Seither befindet er sich im Exil. Eine Rückkehr nach Usbekistan ist nicht möglich, er gilt im dortigen diktatorischen Regime noch immer als „verbotener Dichter“.

„Ich bin kein Dieb, kein Mörder, nur ein Schreiber und deshalb ein Volksfeind“, sagt der Mann mit schlohweißem Haar und Bart, der im Büro der Kulturvermittlung Steiermark sitzt. Obid war der erste Stipendiat im Programm „Writer in Exile“ in Graz und lebte 1997 und 1998 im Cerrini-Schlössl auf dem Grazer Schloßberg. Das erste Gedicht, das er in Graz verfasst hat, handelt von einer obdachlosen Katze, die damals plötzlich vor seiner Tür auftauchte. Folgende Zeilen finden sich darin:

Seid nicht betrübt, noch nicht zu Ende ist der Tag / Noch brennt in meinen Augen Licht /Sei ohne Angst, nur die Hoffnungslosen meide / Denn sie sind verloren für die Welt.

„Ich liebe meine Gedichte. Und für diese Liebe bin ich auch ins Gefängnis gegangen.“ Geboren 1940 in Usbekistan, die Eltern früh gestorben, musste Yodgor Obid als Kind in einer Kolchose schuften, „von der Sowjetmacht versklavt“, wie er sagt. Später arbeitete er unter anderem als Bauarbeiter, bevor er von 1975 bis 1981 ein Literaturstipendium am Maxim-Gorky-Institut in Moskau absolvierte.

Doch bald waren Obids Texte dem Regime in Usbekistan zu gefährlich, zu politisch. Seine Publikationen wurden verboten, Obid selbst verfolgt, verhaftet, misshandelt und schließlich in ein sibirisches Arbeitslager verfrachtet. Nach abenteuerlicher Flucht landete er 1997 auf Umwegen in Graz, wo er auch heute noch lebt.

„Worte sind eine schreckliche Waffe“, sagt Obid und blättert in seinem Gedichtband, der den Titel „Auf meinen Wimpern trage ich die Welt“ trägt. Die Übersetzerin in Usbekistan musste ein Pseudonym verwenden, sonst wäre auch sie Repressalien ausgesetzt. Seine Heimat bezeichnet Obid als „Kolonie Russlands“, für die Diktatur in Usbekistan hat er das Wort „Baschismus“ kreiert. „Natürlich klingt da das Wort Faschismus durch, der Unterschied liegt in einem einzigen Buchstaben. Das Anfangs-B kommt von Baschi und bedeutet Anführer der Nation, Väter der zentralasiatischen Völker. Diese Politiker erinnern aber weniger an Väter als an leibhaftige Führer.

Yodgor Obid und Kulturredakteur Bernd Melichar
Yodgor Obid und Kulturredakteur Bernd Melichar © KK

Yodgor Obid hat zwei Kinder, die in Usbekistan leben, und sieben Enkelkinder, die er noch nie gesehen hat. „Nur über das Internet. Ich glaube, das wurde extra für mich erfunden.“ Jetzt huscht sogar so etwas wie ein kleines Lächeln über sein Gesicht, das aber bald wieder verschwindet. Die jungen Menschen in Usbekistan würden auch im Internet über die Missstände in ihrem Land diskutieren, so Obid. „Und ich hoffe auf eine Revolution auf den Straßen, aber derzeit gibt es keine Anzeichen dafür.“ Zu brutal seien die Unterdrückungsmechanismen des Regimes.

30 Jahre im Exil, 30 Jahre fern von Heimat und Familie. Was ist das für ein Gefühl, wie lebt man damit? Schweigen, Yodgor Obid bewegt die Lippen, zuerst lautlos, dann flüstert er: „Ich schreibe schon mein ganzes Leben lang. Aber ich habe noch immer kein Wort gefunden für diesen Schmerz.“

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Buchtipp: Yodgor Obid. Auf meinen Wimpern trage ich die Welt. Mit Zeichnungen von Christian Thanhäuser. Edition Thanhäuser & Internationales Haus der Autorinnen und Autoren Graz,
94 Seiten, 24 Euro.