Noch knapp vier Wochen, dann ist das Superjahr fix: Das Kunsthaus Bregenz KUB wird 2022 55.000 Besucherinnen und Besucher verzeichnet haben, mehr als in den vorpandemischen Jahren 2018 und 2019. Noch bis Mitte Februar sind im Glas-Beton-Würfel die Bilderzählungen der ägyptisch-armenischen Künstlerin Anna Boghiguian zu sehen, dann übernimmt die heimische Kunst-Ikone Valie Export: Während die gesamte Lichtanlage erneuert wird, arrangiert sie im Erdgeschoss Orgelpfeifen aus der Linzer Wallfahrtskirche am Pöstlingberg und Charles Mingus’ „Oh Lord, Don’t Let Them Drop That Atomic Bomb on Me“ zur skulptural-musikalischen Installation.
Ausstellungen der in Senegal geborenen und in Kuwait aufgewachsenen Künstlerin Monira Al Quadiri, des britisch-kenianischen Malers Michael Armitage und der Brasilianerin Solange Pessoa komplettieren das Programm im Zeichen der Auseinandersetzung mit einer an Brüchen reichen Gegenwart und dem eurozentristischen Blick auf die Welt. Es gehe ihm darum zu zeigen, „wie diese Künstlerinnen und Künstler unsere Kultur reflektieren, aufnehmen und vielleicht auch beantworten“, sagt der Leiter des KUB, Thomas D. Trummer.
Seit 2015 leitet der Steirer aus Bruck an der Mur die Institution, die sich in den letzten Jahren nicht nur vonseiten der heimischen Politik höchst schmeichelhafte Vergleiche mit dem Grazer Kunsthaus gefallen lassen durfte: hinsichtlich Programm und Publikum zeige es die Strahlkraft, die man sich für Graz wünsche. Tatsächlich haben die Häuser neben der Ausrichtung auf zeitgenössische Kunst wenig gemeinsam: Das KUB, heuer 25 Jahre alt, bedient eine 30.000-Einwohner-Stadt (zieht aber auch Festspielgäste und Besucher aus dem dicht besiedelten Dreiländereck an), sein Budget beträgt 2,8 Millionen Euro. Man setzt auf Personalen internationaler Künstlerinnen und Künstler; den Bau erdachte der Schweizer Pritzker-Preisträger Peter Zumthor, dem nicht von ungefähr nachgesagt wird, Licht sei sein wichtigster Baustoff.
Architektonisch originell, aber bekannt schwierig zu bespielen ist Peter Cooks und Colin Fourniers „Friendly Alien“ im zehnmal bevölkerungsreicheren Graz. Mitte Jänner wird die neue Leiterin Andreja Hribernik ihr erstes Programm vorlegen, der Schwerpunkt lag bisher auf Themenausstellungen. In das mit jährlich 6,4 Millionen Euro dotierte Kunsthaus, das 2023 seine ersten 20 Jahre begeht, kamen vorpandemisch 78.000 Gäste (2019).
Einbindung lokaler Handwerksunternehmen
Unbestritten hat Trummer, der vor Stationen etwa im Wiener Belvedere, am Museum Ludwig in Köln und als Leiter der Kunsthalle Mainz zehn Jahre lang im Grazer Kunstverein tätig war, ein Sensorium für Themen der Zeit: Al Qadiri und Pessoa etwa waren heuer auch auf der Biennale in Venedig zu sehen. Motive wie Umwelt und fossile Energie, Natur und Vergänglichkeit bringen sie wohl mit an den Bodensee: Das KUB ermuntert, oft unter Einbindung lokaler Handwerksunternehmen ( in Valie Exports Fall: eines Orgelbauers), seine Gäste zur Entwicklung ortsspezifischer Arbeiten, „die man hier das erste und oft unwiederbringlich das einzige Mal sieht, weil viele nicht auf andere Räume übertragbar wären“, sagt Trummer.
Über vier Stockwerke wird das Erlebnis immersiv: „Man schreitet nicht Kunstwerke ab, sondern ist selbst Teil eines Kunstwerks.“ Kuratorische Themensetzung steht nicht im Vordergrund: „Um die Gegenwart abzubilden, muss man die richtigen Künstlerinnen und Künstler finden, dann folgen auch die richtigen Themen“, argumentiert der KUB-Chef. Vor diesem Hintergrund habe sich auch die Kunst in der Pandemie als vielleicht nicht system- aber „existenzrelevant“ bestätigt: „Gerade in Krisen stellt Kunst unbequeme Fragen, konfrontiert, verändert den Blick. Wir sehen die Welt jetzt anders.“ Sein Ziel ist dem entsprechend formuliert: „die Gegenwart aktiv abzubilden, um dem Unbehagen der Gegenwart ein Bild zu geben.“