Was passiert, wenn sich Kriemhild und Brünhild ihrer Bestimmung entziehen, sich miteinander verbünden und gegen die Machenschaften ihrer Männer aufbegehren? Dieses Gedankenexperiment spielt Ferdinand Schmalz in seinem Stück "hildensaga. ein königinnendrama" durch, das im Sommer bei den Nibelungenfestspielen in Worms erstmals zu sehen war und das die Wienerin Christina Tscharyiski nun am Münchner Volkstheater eindrucksvoll in Szene gesetzt hat.

Wenn der aus Graz stammende Bachmannpreisträger des Jahres 2017 Hand an den berühmten Stoff anlegt, bleibt kein Stein auf dem anderen: In den düster-kargen Weiten des hohen Nordens kommt es gleich zu Beginn zur erotischen Begegnung zwischen Brünhild, der Königin Islands, und Siegfried. "na sieh mal einer an, / ein held, / der größte held / da aus dem kleinen xanthen", begrüßt Henriette Nagel, die so gar nicht an eine jungfräuliche Herrscherin gemahnt, den Fremden amüsiert. "bei uns im hohen norden, / hier auf isenstein. / die königin zu freien, / ist er hierher zu uns gekommen." Und schon entledigt sich Jonathan Müller als muskelbepackter Held seiner Kleider. Wenig später wird er dann aber doch seinen Freund Gunther (herrlich verblödet: Julian Gutmann) dabei unterstützen, Brünhild im Kampf zu besiegen und sie als Frau mit in die Heimat zu nehmen.

Unterirdisches Labyrinth

Der Hof in Worms, der in Form einer von düsteren Gängen durchsetzten Wand aus dem Bühnenboden empor fährt, gleicht einem unterirdischen Labyrinth, in dem Brünhild und Kriemhild – nunmehr Siegfrieds Frau – mehr oder weniger gefangen sind (Bühne: Sarah Sassen). Hier bewegt man sich nur kriechend und kletternd fort. Und dort, in der Dunkelheit, hilft Siegfried Gunther ein zweites Mal und Brünhilds Schreie in der Hochzeitsnacht gellen durch die Gänge. Hier lässt Schmalz die Handlung erneut brechen und setzt auf Solidarität unter Frauen: Die schöne Kriemhild (Nina Steils) ist nach der Vergewaltigung Brünhilds, an der ihr Liebster teilgenommen hat, zutiefst erschüttert und verbündet sich mit ihrer Schwägerin, statt ihre Feindin zu sein. Gemeinsam planen sie den Mord an Siegfried. Doch der Wald, der nach der Pause die Bühne dominiert, wird zu einem noch viel größeren Racheschlachtfeld.

"hildensaga"
"hildensaga" © (c) Arno Declair

Das sehr junge Ensemble – fast alle Protagonistinnen und Protagonisten sind in den 1990er-Jahren geboren – spielt dabei in Hochform. In den kunst- wie fantasievollen Kostümen von Svenja Gassen wirken sie wie vom Laufsteg auf die Bühne gefallen, wo ihr jugendlicher Hedonismus direkt ins Verderben führt. Drei von Schmalz eingeführte Nornen ziehen im Hintergrund die Schicksalsfäden, während eine von ihnen (Cornelia Pazmandi) live für den düster-pochenden Soundtrack des Abends verantwortlich ist.

Christina Tscharyiski, die jüngst am Schauspielhaus Graz Paula Thieleckes "Judith Shakespeare - Rape and Revenge" und am Wiener Rabenhof Stefanie Sargnagels "Heil. Eine energetische Reinigung" inszenierte, gibt den kunstvollen Versen des Autors viel Raum und weiß, mit den rhythmisch gesetzten Pausen umzugehen. Henriette Nagel und Nina Steils bilden in ihren charakterlichen Gegensätzen ein starkes Frauen-Duo, die männlichen Helden amüsieren mit ihrer teils tollpatschigen toxischen Männlichkeit. Schmalz ist eine feinsinnige, schlüssige Neudeutung des Stoffs gelungen, die durchaus dazu geeignet ist, ihren festen Platz auf den Spielplänen zu finden.