Das ist die Geschichte von Ailey, einem schwarzen Mädchen, das mit seinen akademisch gebildeten, mittelständischen Eltern und zwei Schwestern in den 60ern und 70ern im Norden der USA aufwächst, seine familiären Wurzeln aber im Süden, in Georgia, hat.
Jeden Sommer verbringt Ailey bei ihrer Großmutter mütterlicherseits in der (fiktiven) Kleinstadt Chicasetta.
Die Baumwollplantagen und die Sklaven von einst gibt es nicht mehr, der Rassismus aber ist geblieben. Doch der lebt auch bei ihrer Großmutter Nana väterlicherseits im Norden weiter: "Nun kehrte meine Erinnerung an verschiedene Kränkungen zurück, über die sich Mama im Laufe der Jahre beschwert hatte: Dass Nanas Freundinnen alle hell genug waren, um als Weiße durchzugehen. Dass Nana mich dazu drängte, einen Sonnenhut zu tragen, wenn ich in der Sonne saß, damit ich nicht noch dunkler wurde. Dass Nana meine Mutter nie als Schwiegertochter akzeptiert hatte ..."
Es war der 1963 verstorbene schwarze Soziologe William Edward Burghardt Du Bois, der feststellte, dass sich schwarze Amerikaner selbst durch die Brille einer rassistischen Gesellschaft wahrnehmen. Wie subtil und vielgestaltig das geschah und geschieht, analysiert Honorée Fanonne Jeffers in ihrem fulminanten, rund 1000-seitigen Debütroman "Die Liebeslieder von W. E. B. Du Bois", den sie mit seinem etwas sperrigen Titel dem Wissenschaftler widmete.
Wer Alice Walkers "Die Farbe Lila" und Toni Morrisons "Menschenkind" gelesen hat, kommt an diesem faszinierenden Werk nicht vorbei. Gegliedert in elf Kapitel, denen jeweils ein Zitat aus Du Bois Hauptwerken vorangestellt ist, verknüpft die Autorin rund 30 Jahre der Lebensgeschichte von Ailey mit den Stammbäumen ihrer Vorfahren, in denen sich "Indianer", "Negroes" und Weiße mischten. Durch einen Anhang behält man die Übersicht, ein Glossar erläutert milieutypische Begriffe, und ein Nachwort der Übersetzerinnen Maria Hummitzsch und Gesine Schröder macht mit sprachlichen Herausforderungen vertraut.
Buchtipp: Honorée Fanonne Jeffers. Die Liebeslieder von W. E. B. Du Bois. Piper, 990 Seiten, 28,80 Euro.
Karin Waldner-Petutschnig