Pete Doherty und Carl Barât – das ist eine Hassliebe wie zwischen John und Paul, nur ohne Liebe, möchte man meinen. So muss das wohl sein, wenn zwei Frontmänner in einer Vierer-Combo ums Rampenlicht raufen. Wenn zwei kreative Poltergeister auf der Insel von ein und derselben Muse geküsst werden. Wenn zwei Seelen, nein, zwei Herzen in beider Brust im gleichen Takt schlagen und einander doch unendlich auf die Nerven gehen.

Die beiden Buben aus Camden, London waren gefühlt immer dann getrennt, bevor sie fix zusammen waren, nie da und immer weg, also irgendwie als The Libertines ein ewiger Phantomschmerz ihrer besinnungslosen Fangemeinde. Heute lebt Pete dem Vernehmen nach in Frankreich und hat mit dem Franzman Frédéric Lo ein wunderbar nostalgisch-lyrisches Alt-Herren-Album veröffentlicht. Der Tonträger beweist, er kann es noch immer, zerbrechlich, unverschämt, süchtig machend, melodiös. Seine Fans der ersten Stunde sagen: langweilig.

Leibhaftig und lebendig – ohne Heroine Chic

Doch Montagnacht im Wiener Gasometer sagten sie: Wow! Pete ist zweimal der Mann, den wir einst in seinem Heroine Chic gewohnt waren. Aber, egal, er steht auf der Bühne, leibhaftig und lebendig. Das ist mehr als man erwarten durfte. Immerhin hing er so lange an der Nadel, dass das alles eben genau so nicht zu erwarten war. Steht Barât dann im Unterleiberl und mit Hosenträgern vor dem Mikro, wünscht man sich, er steht da immer noch in einem Pub in Camden und lässt es krachen.

An diesem Abend in Wien lassen sie es krachen, so sehr, dass die Menge sogar bei den Midtempo-Balladen den Kuschel-Moshpit probt. Die Band feiert 20 Jahre ihres Albums "Up the Bracket" – und hat es remastered wieder auf den Markt geworfen. So macht man das heute, wenn nichts Neues mehr gelingt. Oder wenn man es lieber erst gar nicht versucht. Den Fans ist es egal: Sie stürzen sich das ganze Set mit zwei pumpenden Herzkammern und einer Pause in einen einzigen Moshpit und schwitzen sich die Seele aus dem Leib. "What Katie Did", Can't Stand Me Now", "Time for Heroes", Music when the Lights go out", "You're my Waterloo" ... keiner der unfassbar vielen Lieblingssongs der Menge fehlt.

"Freigeistige Wüstlinge" in einem bekifften Pub

Anfangs fragt man sich noch, warum die engagierte Vorband The Ramona Flowers den besseren Sound in die runde Arena zimmern durfte. Aber dann weiß man es natürlich: Weil The Libertines – mit und auch ohne Wörterbuch "freigeistig" übersetzt – eben echte "Wüstlinge" sind, roh und polternd, immer noch wie in dem bekifften Pub oder dem schwankenden Indie-Club in Camden-Town. Nein, vielleicht besser, weil sie sich nicht vergessen im schweren Drogenrausch, weil sie die Bühne betreten und loslegen, verlässlich. Zu Finale wuchten sie noch "Don't Look Back into the Sun" ins Runde und verabschieden sich. Noch eine Zugabe? Nein, die Band und die Menge, sie haben alles gegeben.

Aber eines sind sie eben noch immer: echte Post-Punk-Prick-Pop-Pub-Poeten von unserer Lieblingsinsel. So rau, dass man sie erfinden müsste in einer Zeit, die Ungeschliffenem so ungern eine Bühne gönnt. Jetzt könnte man fordern: Schreibt doch wieder neue Songs. Aber wir nehmen lieber noch eine Überdosis der alten Hadern. Hand aufs geschundene Herz: Was soll denn da noch Besseres nachkommen?