„Zur Brust“ heißt die Berliner Eckkneipe, die Daniel Brühls beklemmender Erstlingsfilm „Nebenan“, für den Kehlmann das Drehbuch schrieb, als Setting genügt. Hier trifft der erfolgreiche westdeutsche Schauspieler, der nicht zufällig auch Daniel heißt, auf seinen rachsüchtigen Nachbarn Bruno. Der von zahllosen Zurücksetzungen gekränkte Ostdeutsche zertrümmert in gut eineinhalb Stunden das Leben des Anderen, ohne am Ende etwas dabei zu gewinnen.
In Wien heißt der Schauspieler Florian, weil Florian Teichtmeister die Rolle spielt, und aus dem Wessi wurde ein Ösi, den es nach Berlin verschlagen hat. Weitere Einwienerungen, die der Regisseur und Auftraggeber Martin Kušej sich gewünscht hatte, verweigerte Kehlmann, wie er im Programmheft verrät.
Auch diese eine schon verringert die Logik des Dramas. Ein großer Teil der aufgestauten Wut Brunos geht ja auf die Kränkung zurück, die der Ossi nach der Wiedervereinigung des Landes von neuen Landsleuten wie Daniel/Florian hinnehmen musste. Der Ösi, der in der Wohnung wohnt, aus der Brunos Vater einst von Immobilienhaien hinausgemobbt worden war, eignet sich wenig zur Wiedergutmachung erlittener Schmach.
In Wien spielt Norman Hacker den unheimlichen Nachbarn. Verbittert sitzt er hinter seinem Bier und wartet auf das Opfer wie die Spinne auf ein Insekt. Naiv und freundlich lässt sich Florian auf das latent aggressive Gespräch mit Bruno ein. Jeder Abbruchsversuch zieht ihn tiefer in die ungewünschte Beziehung zu dem Nachbarn aus dem Vorderhaus, der Unangenehmes über sein Leben weiß: Dass seine Frau ihn betrügt und dass er sich im Netz zu privaten Vergnügungen mit einer Denise trifft. Als Nachtdienst-Mitarbeiter einer Help-Line für Banken hat Bruno nämlich Zugriff auf Kontendaten, um im Ernstfall verlorene Karten sperren zu können. Aus den Kontobewegungen des Schauspielers und seiner Frau rekonstruiert er dessen vergiftetes Leben.
Wie Bruno langsam die Daumenschrauben anzieht, zeigen Hacker und Teichtmeister mit Bravour. Die historische Tiefendimension aber, die Kehlmanns Filmdrehbuch zu mehr als einem Rachedrama macht, geht in Wien verloren. Auch weil dem Publikum wie den Darstellern die deutsche Wiedervereinigung allenfalls als ferne Erinnerung präsent ist, nicht als ständige Begleitmelodie ihres Lebensalltags.
Was bleibt, ist feines Schauspielertheater, das im kleinen Akademietheater wohl besser zur Geltung käme als in der Burg. Dem Erfolg tat das keinen Abbruch: Autor, Schauspieler und Regisseur wurden vom Premierenpublikum herzlich gefeiert.
Thomas Götz