"Die Monroe? Doch eigentlich nur eine Schlampe, oder? Eine liederliche Göttin. Ihre feuchten Lippen, ihre überlaufende Blondmähne, die notorisch rutschenden BH-Träger ...“
Der geniale Wortätzer und unbarmherzige Beobachter Truman Capote hat viele Hollywood-Größen mit Spott und Häme übergossen. Doch dieser Text über Marilyn Monroe geht weiter, konterkariert die Klischees und mündet in eine für Capotes Verhältnisse nahezu zärtliche Huldigung: „Sie ist bemerkenswert untough und viel zu weich. Sie ist gezeichnet und umstrahlt von den Stigmata des ewig unbehausten Waisenkindes.“
Capote schrieb diesen Text 1959, drei Jahre später war „die Monroe“ tot. Gestorben in der Nacht von 4. auf 5. August 1962, also vor genau 60 Jahren, in ihrem Haus in Los Angeles. Der Mythos lebt, und unsterblich sind auch die Mutmaßungen und abstrusen Verschwörungstheorien rund um ihren Tod: Suizid durch Schlaftabletten, Mord wahlweise durch den CIA oder die Mafia? Das (angebliche) Verhältnis mit US-Präsident John F. Kennedy, das lasziv hingehauchte „Happy birthday, Mr. President“, der (angebliche) Lover-Wechsel zu dessen Bruder Robert. Die Kennedy-These ist bis heute Mastfutter für die Klatschpresse.
MM. Kürzel und Synonym für Schönheit, strahlende Weiblichkeit, Sex-Appeal. Und hinter der glamourösen Fassade, dem Make-up und Styling lauerte stets der Blondinenwitz.
Das kurze Leben im Schnelldurchlauf: Geboren am 1. Juni 1926 als Norma Jeane Mortenson, Halbwaise, aufgewachsen in Kinderheimen, Entdeckung als Fotomodell mit 19, Durchbruch als Schauspielerin 1953 mit „Niagara“, im gleichen Jahr posierte sie nackt für den „Playboy“.
Später drehte sie Erfolgsfilme wie „Manche mögen’s heiß“ und „Das verflixte 7. Jahr“, bekam danach nur noch Rollenangebote in seichten Komödien als blondes Dummchen; drei Ehemänner, darunter der Schriftsteller Arthur Miller, zahlreiche Fehlgeburten, Alkohol, Tabletten, Depressionen, Karriereknick, Comebackversuch, Tod im Alter von 36 Jahren. Groß geworden im Scheinwerferlicht Hollywoods – und dort verglüht. Ruhm und Ruin, hautnah beieinander, im Falle Marilyn Monroe eineiige Zwillinge.
Zerbrach Norma Jeane an jener Kunstfigur, die sie selbst miterschaffen hat? An Marilyn Monroe also. Kam sie jenem Licht zu nahe, das sie schon als Jugendliche gesucht hat, um endlich sichtbar zu werden? Sie, Norma, das „unbehauste Waisenkind“. Das Aschenputtel aus ärmlichen Verhältnissen, die Verkörperung des amerikanischen Traums und weltweiten Männertraums.
Rund 2000 Biografien sind im Laufe der Jahrzehnte über Marilyn Monroe erschienen, Experten aller Fachrichtungen legen die Unsterbliche auf die Couch und betreiben an ihr Seelen- und Narbenschau, und bis heute ist die Leinwandgöttin ganz profan eine unerschöpfliche Geldquelle. Wer mit der Marke Monroe werben will, muss zahlen
Der Preis, den Monroe zu entrichten hatte für die zeitweilige Behausung in den brutal-grell erleuchteten Räumlichkeiten der Traumfabrik Hollywoods war freilich ungleich höher. Man muss kein Psychiater sein, um zu erahnen, dass sich unter dem flatternden Rock der rotlippigen Blondine noch immer die zutiefst traurige, zerbrechliche, unsichere, aber warmherzige und kluge Norma Jeane versteckte.
Die Tragödie bestand wohl darin, dass die Transformation von Normas Eigenschaften und Qualitäten auf die Kunstfigur scheiterte. Marilyn Monroe wurde zeitlebens unterschätzt, buchstäblich für dumm verkauft; demonstrativ, aber letztendlich erfolglos stemmte sie sich dagegen und ließ sich gerne beim Lesen fotografieren – versunken etwa in James Joyces „Ulysses“.
Dass der Mythos Monroe bis heute lebt und die Frau dahinter nichts von ihrer Faszination verloren hat, mag daran liegen, dass die Nachwelt auch das sieht und spürt, was hinter all der Schminke verborgen war: ein inneres Leuchten und eine verletzliche Schönheit, die allen Hochglanz überstrahlt.
Und dass ihr etwas ganz Spezielles innewohnt, wusste Marilyn Monroe auch selbst; wenngleich diese Sätze, die sie persönlich ihrem Biografen diktierte, schmerzhaft in eine andere Richtung gehen: „Ja, es war etwas Besonderes an mir, und ich wusste auch, was: Ich gehörte zu jener Art Mädchen, die man tot in einem Schlafzimmer findet, mit einer leeren Schachtel Schlaftabletten in der Hand.“