Die Gegenwart ist ein Stück weit mehr am „Tatort“ angekommen. „Schattenleben“ aus Hamburg ist die erste Folge, die mittels „Inclusion Rider“ gedreht wurde. Der Begriff ist seit der Oscar-Gala 2018 und Frances McDormands flammender Rede vielleicht in Erinnerung geblieben. Es bedeutet, dass sich NDR und Produktion dazu verpflichteten, das Team vor und hinter der Kamera möglichst divers zu besetzen. Das heißt: Das Binnen-I ist selbst am Kommissariat und von alten Ermittlerhasen hörbar, nicht binäre Beziehungsformen kommen im Krimi ebenso selbstverständlich vor wie diverse Hautfarben oder Migrationshintergründe. Und zwar ohne, dass sie explizit thematisiert werden. Der Plot spielt im radikalisierten, linksautonomen Milieu. Nach einem Brandanschlag im Verdacht: Ein Flinta*-Hausprojekt; das steht für Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen.
Klingt bemüht, mutet aber unverkrampft an. Und ergibt einen durchwegs packenden Milieu-Krimi, in dem alternde Macho-Punks auf junge radikalisierte Frauen treffen. Atmosphärisch dicht und brutal von Mia Spengler inszeniert, in puncto Analyse der Linken ein bisschen dick von Drehbuchautorin Lena Fakler aufgetragen, aber von der für ihre Kurzdoku
oscarprämierten Kamerafrau Zamarin Wahdat in furios fiebrigen Bildern eingefangen.
Am allerbesten: Im Gegensatz zu den meisten anderen Einsätzen an der Seite vom Milch schlürfenden Falke (Wotan Wilke Möhring) steht dieses Mal Julia Grosz (Franziska Weisz) im Fokus. Endlich bekommt ihre bislang undurchsichtige Figur ein bisschen mehr Persönlichkeit und Privatleben. Sogar ein Lächeln huscht ihr über die Lippen, als sie ihren „wichtigsten Menschen während der Ausbildung“ wiedertrifft, mit der sie liiert war: Doch Ela (Elisabeth Hoffmann) ist „da in etwas hineingeraten“. Als Undercover-Ermittlerin hat sie sich in eine Linksautonome verliebt. Dabei lebt sie doch ein Biedermeierleben in Pinneberg – mit HSV-Flagge im Garten.
In diesem „Tatort“ brennen nicht nur Autos, sondern auch emotionale Sicherungen im besten Sinne durch. Eingebettet in den Sound wütender Pogo-Hymnen fällt die Lösung des Falls am Ende gar nicht divers oder zeitgenössisch, sondern beinahe banal aus.