Als ich meinen Roman „Wiener Fenstersturz“ (2017) schrieb, in dem ich das tragische und auch komische Schicksal des großen Schriftstellers Egon Friedell erzähle, habe ich eine Anekdote bewusst ausgespart und mir für heute aufgehoben: Anlässlich seines Sechzigers ließ Friedell Dank-Karten anfertigen, auf denen vorgedruckt stand: Von allen Glückwünschen zu meinem sechzigsten Geburtstag hat mich Ihre am meisten gefreut! Egon Friedell. So jungfräulich druckfrisch, ohne jede handschriftliche Ergänzung, Anrede oder gar Unterschrift schickte er die Karte als Postsendung gewissermaßen blanko an jeden X-Beliebigen ab und in die Welt hinaus. Ja, dem Friedell Egon saß eben noch der Schalk im Nacken! Und er hat sich seine Verletzungen und Enttäuschungen nicht anmerken lassen. Immer nur lächeln … Seine persönliche Tragödie aber: Zwei Monate später war er tot.
Bei mir selbst war es ganz anders: Ich habe unzählige – gefühlt: Millionen – E-Mails, WhatsApps, SMS, Facebooknachrichten bekommen, die ich am Tag der Tage ungeöffnet sammelte, erstens, um nicht den ganzen Tag am Handy tippend zu verbringen und zweitens, um nicht den Überblick zu verlieren, sondern lieber einen Branzin zu schmausen, ein Zigarillo zu schmauchen, die Seele und die Beine baumeln zu lassen, meinen Arm um die Schulter meiner Frau zu legen und aufs weite Meer hinaus zu schauen: Zwei Segel erhellend die tiefblaue Bucht. Zwei Segel sich schwellend zu gemeinsamer Flucht!
Und dann, in dem Moment, wo ich mich daran machen wollte, die Millionenpost gockeleitel zu öffnen und mich bei jedem und jeder einzelnen da draußen im Universum persönlich zu bedanken, bin ich irgendwo irrtümlich falsch angekommen, und von einem Augenblick auf den anderen war alles weg und gelöscht! All die Millionen vermutlich total lieber Glückwünsche, Botschaften, Gratulationen: weg! Persönlich natürlich eine Katastrophe.
So kann ich nicht mit Sicherheit wissen, wer mir gratuliert hat. Außer den Edelmännern und Edelfrauen des Volkes vermutlich die eindrucksvollsten Persönlichkeiten aus der ganzen Welt: All die imposanten Repräsentanten der Menschheit, die auch in Ionescos hübschem Stück „Die Stühle“ aufmarschieren, stelle ich mir jedenfalls vor; nebenbei auch Abgesandte öffentlicher Institutionen wie etwa dem Kärntner Literaturarchiv, dem Musil-Institut oder sogar des Heimatlands.
Jetzt bleibt mir nichts übrig, als ins geheimnisvolle Weltall hinaus „Danke! Danke! Danke!“ zu rufen. Danke Euch allen! Ich verspreche: Ich werde Euch erkennen. Im richtigen Leben.