Julie ist offen für alles, was das Leben ihr bietet. Sie wechselt ihre Studien und Berufswünsche genauso oft wie ihre Frisuren oder Liebhaber. Die Endzwanzigerin steckt voller Talente, Liebenswürdigkeiten, Ängste, Fragen und Unstetigkeiten. "Sie studierte nur Medizin, weil das das einzige Studium war, für das sich die ganze Lernerei am Gymnasium gelohnt hatte, für das ihre Einsen etwas bedeuteten", skizziert die Stimme aus dem Off ihr Dilemma. Später entflammt Julies Leidenschaft für Psychologie, Fotografie sowie das Schreiben.
Der norwegische Filmemacher Joachim Trier erzählt mit "Der schlimmste Mensch der Welt" als Abschluss seiner Oslo-Trilogie nicht nur die Geschichte einer jungen Frau auf der Suche nach sich selbst, sondern inszeniert ein tragikomisches, einfühlsames und grundehrliches Generationenporträt. Und eine flirrende, amouröse Nachtschwärmerei in strahlenden skandinavischen Mittsommernächten. Zwei Oscarnominierungen (bestes Buch, bester internationaler Film) und zig Preise heimste das Liebesdrama in zwölf Episoden, eingerahmt in Prolog und Epilog, ein. Die norwegische Theatermimin Renate Reinsve kassierte für ihr feinnerviges und authentisches Spiel im Vorjahr in Cannes die Silberne Palme als beste Darstellerin.
Julie taumelt durchs Leben und ihre Lieben: leichtfüßig, lustvoll, unentschlossen, mit sich hadernd. Eigentlich stünden ihr alle Optionen offen, so recht entscheiden will sie sich aber nicht. Zumindest nicht für ewig. Und ganz sicher nicht wählt sie die zweitbeste Option. Für den rund 15 Jahre älteren Comiczeichner Aksel (Anders Danielsen Lie) ist sie die Liebe seines Lebens, seine Muse. Er hat sich ausgetobt, möchte sesshaft werden, Kinder zeugen. Das passt nicht in Julies Lebensentwurf. Noch nicht.
Als sie auf einer fremden Hochzeit landet, lernt sie den jüngeren Eivind (Herbert Nordrum) kennen. Die Funken sprühen in dieser Nacht, in der nichts passiert. Das Schicksal führt sie wieder zusammen. Julie verlässt Aksel. Und bereut das später – wie kann es anders sein – wieder.
Nebst großen Dramen in kleinen Sequenzen, angenehm unaufgeregter ambivalenter Figurenzeichnung und einem fantastischen Ensemble skizziert Trier die Anfänge des Verliebtseins, das Highsein vom Leben und Todtraurigfühle beim Abschiednehmen mit klugen Kniffen wie eingefrorenen Darstellenden oder wahnhaften Bildern im Drogenrausch. Das Sittenbild der Millennials beinhaltet auch ungenützte Chancen, verbummelte Jahre und zerronnene Beziehungen. Muss man nicht verstehen, aber unbedingt lieben.