Vor lauter Krieg und Corona wäre ich beinahe nicht dazugekommen, einen heute fast vergessenen Dichter zu würdigen, dessen Todestag sich genau am heutigen 25. Mai zum 160. Mal jährt. Er hieß Johann Nepomuk Nestroy, und heute kann man ihn – wenn überhaupt – nur noch im Sommertheater spielen, denn er war frauenfeindlich und politisch unkorrekt (aber sowas von…!), den Rechten zu links, den Linken zu rechts und den Lobbyisten zu eigenbrötlerisch (oder wie man heute sagen würde: zu selbstbestimmt). Außerdem ist er – in Wien fast unverzeihlich – in Graz gestorben.
Seinerzeit aber war er in Wien weltberühmt. Hochverehrt wurde Nestroy von Egon Friedell und Alfred Polgar, von Karl Kraus, Anton Kuh und Michael Niavarani (die untereinander früher oder später allesamt spinnefeind waren). Man nannte Nestroy den „Schopenhauer vom Würstelprater“ und „österreichischen Shakespeare“. (Shakespeare und Schopenhauer, ebenso frauenfeindlich und politisch unkorrekt, wurden umgekehrt nie mit Nestroy verglichen).
Kuh, der Nestroy für den „größten Satiriker der Weltliteratur“ hielt, bearbeitete den „bösen Geist Lumpazivagabundus“ – österreichischen Mephisto – 1931 für die Volksbühne Berlin, rationalisierte, entwienerte und entkleidete ihn von seiner volkstümlichen Gemütlichkeit und zeichnete den Lumpazi unverkennbar nach Adolf Hitler. Wen könnte man da heute noch nehmen? An der Macht sind ja ausschließlich liebe, gute, verantwortungsvolle, politisch korrekte Nonplusultrapanzer. Genaugenommen müsste man Lumpazivagabundus/-a/-um heute natürlich auch gendern und quoten: Also 1 Mann, 1e Frau, 1 Transgender. Lumpazivagabunda trägt Prada.
Allegorien? Zauberposse? Naja. Vorspiel im Himmel? Nett, aber kaum noch machbar. Tischler. Schuster. Schneider – müssten entweder mit Migranten, den letzten Helden des Handwerks – besetzt oder durch Consulter, Designer, Analytiker (heute: Analysten) ersetzt werden, versoffen (zeitlos!), internetsüchtig, geschieden. Und pleite. Oder man nennt die Burschen Lutz, Deichmann & Dressman. Die treffen sich im Wartezimmer der Praxis eines Psychoanalytikers. Es geht um Traumdeutung. Alle drei haben nämlich – voneinander unabhängig – dieselbe Zahl für „Euromilliarden“ geträumt.
Kurzum: Nestroy geht nicht mehr. Destroy Nestroy! Der berühmte Refrain in seinem berühmten Kometenlied lautet: Die Welt steht auf keinen Fall mehr lang! Auch das stimmt mittlerweile nicht mehr ganz: Die Welt steht schon lang nicht mehr lang!
Egyd Gstättner