Ich habe es hier letzte Woche vorausgesagt, und die Prophezeiung war nicht besonders schwer: Die Ukraine hat gewonnen. Den Song Contest. Besser den Song Contest als nichts. Ein Krieg lässt sich nicht gewinnen. Ein Krieg ist sozusagen eine Lose-Lose-Situation, modern gesprochen, die Geschichte belegt es immer wieder, und man muss es dem, der den Krieg anzettelt, dem Aggressor und "Eroberer" ins Stammbuch schreiben: Abgesehen davon, dass Krieg das schlimmstmögliche Verbrechen ist, ist er reiner Unsinn – oder, wie es im 19. Jahrhundert geheißen hatte: "Grober Unfug." Ein "Sieg" ist immer eine Frage von "Kommunikation" und Propaganda, immer eine Lüge.
Ob nun die Ukraine, das Kalush Orchestra oder das Rosakäppchen den ESC gewonnen haben, darüber gehen die Meinungen auseinander. Ich persönlich glaube, mit dem Lied hätte die Ukraine in Friedenszeiten nie gewonnen, im Krieg als überfallenes Kriegsopfer hingegen mit jedem beliebigen Geräusch, jedem Instrument, jeder Kopfbedeckung auf der Bühne. Dagegen ist angesichts des realen Grauens auch nicht viel zu sagen. Ein bisschen Solidarität, wenn's ein bisschen Frieden schafft … Sei’s drum. Am Tag nach dem Triumph war vom "Sieger der Herzen" zu lesen. Die Crux an der Sache ist freilich, dass die "Sieger der Herzen" eben gerade nicht die Sieger sind. "Herz" ist im Grund eine Art Verneinung, so wie "Moral" (beim "moralischen Sieger").
Ich kann mich noch gut erinnern, dass der Intendant der Bregenzer Festspiele, als er 1992 die Freiheitsoper "Fidelio" auf die Seebühne brachte, damit explizit "ein Zeichen setzen" und dem "Morden unter Milosevic" Einhalt gebieten wollte. (Ein österreichischer Dichter ist damals vor Zorn natürlich hoch und nieder gehüpft.) 30 Jahre später herrscht am Balkan so etwas wie Frieden: Aber ob tatsächlich Beethoven und die Bregenzer Festspiele den Balkankrieg entschieden haben? Ob "die Wahrheit immer siegt", ist unentschieden. Aber auf alle Fälle hat sie eine sehr lange Leitung – und steht auch noch drauf. Serbien ist übrigens heuer sensationeller Fünfter beim ESC geworden, mit einem unkonventionellen Protestsong gegen die miserable serbische Künstlersozialversicherung. (Twelve points and hearts from Croatia …)
Slobodan Milošević würde sich im Grab umdrehen. Recht geschähe ihm.
Egyd Gstättner