Was macht ein Dichter in Kriegszeiten? Er schreibt natürlich ein Gedicht! Denn er will „ein Zeichen setzen“ – für Frieden, gegen Gewalt. Oder eine Ballade. Denn er muss „seine Stimme erheben“. Immerhin ist er „eine moralische Autorität“. Die Menschen schreiben ihm ja und beginnen mit: „Könnten nicht Sie als Schriftsteller…?“
Nun, lange war ich sprachlos angesichts des Unfassbaren. So viele Kriegserklärungen – und keine einzige habe ich je verstanden. Doch dann, eines Abends, im Halbschlaf, in jedem Dämmerreich des Unterbewussten zwischen Poesie und Traum, hörte ich plötzlich eine innere Stimme, die mir die Verse diktierte: Von den Großen dieser Erde melden uns die Heldenlieder/ steigend auf so wie Gestirne geh`n sie wie Gestirne nieder. / Das klingt tröstlich, und man muss es wissen, / nur für uns, die sie ernähren müssen / ist das leider immer gleich gewesen. / Aufstieg oder Fall: Wer trägt die Spesen? Nicht schlecht! Aber ich wurde noch besser: Und sie schlagen sich die Köpfe / blutig raufend um die Beute / nennen andere gierige Tröpfe / und sich selber gute Leute / Unaufhörlich sehn wir sie einander grollen / und bekämpfen. Einzig und alleinig (hier eine sprachliche Schwachstelle des Reimes zuliebe) wenn wir sie nicht mehr ernähren wollen / sind sie sich auf einmal völlig einig… (da fiel mir im Traum auch der Satz von Bernhard Shaw ein, die Soldaten beider Armeen sollten ihre Offiziere erschießen und nach Hause gehen…)
Und dann mein Finale furioso: Ach, wir hatten viele Herren / hatten Tiger und Hyänen / hatten Adler, hatten Schweine / doch wir nährten den und jenen, / Ob sie besser waren oder schlimmer: / Ach der Stiefel glich dem Stiefel immer / und uns trat er. Ihr versteht: Ich meine / dass wir keine anderen Herren brauchen, sondern keine. Ich erwachte aus meiner Trance. Genial! That`s it! Aber als hätte ich durch meinen Mund nicht die Literatur an sich ein ernstes Wort zur Menschheit sprechen lassen, als hätte ich nicht die humanitäre Katastrophe verurteilt, trat von irgendwo ein pingeliger Plagiatsjäger zähnefletschend auf den Plan und behauptete neunmalklug, die mir im Halbschlaf zugeflogene Ballade gäbe es schon, ich hätte sie von einem anderen Dichter einfach abgeschrieben – so wie Ernst Jandl von Goethe. Da ich die Wahrheit nun einmal liebe, bestätigte ich den Verdacht des Unholds natürlich – der Zweck heiligt die Mittel, die Zwecklosigkeit die Mittellosigkeit – und begründete meine poetische Vorgehensweise mit meiner „generellen Laxheit in Fragen geistigen Eigentums“.