Ich gehe sehr langsam, wenn ich gehe. Wer mit mir gemeinsam spaziert, wird all seine Geduld brauchen. „Kannst du nicht etwas schneller gehen?“, fragt man mich oft. „Ich gehe gerade, so schnell ich kann“, antworte ich dann und ernte Kopfschütteln. „Wer langsam geht, sieht mehr“, behaupte ich gern und gehe schon bald allein. Meine geringe Geschwindigkeit führt oft dazu, dass „You’ll never walk alone“ für mich nicht gilt. „Wenn du es eilig hast, mache einen Umweg!“, rufe ich noch nach, eine japanische Weisheit zitierend.  Dafür bin ich immer gerne behilflich, wenn meine schnell gehenden Freunde beim Kreuzworträtsel fragend in die Luft schauen. „Langsam gehen, mit 7 Buchstaben?“ „Zotteln, trotten, bummeln, wandern“, biete ich an. „Mit 8 Buchstaben troedeln, mit 9 flanieren oder schreiten, mit 10 schlendern.“

Nur einmal in meinem Leben ging ich neben jemandem, der meine Geschwindigkeit noch deutlich unterbot. Der Aktionskünstler Daniel Beerstecher ist der langsamste Mensch der Welt. Er hat den ersten Slow-Walk Marathon der Geschichte absolviert, im Schnitt legte er dabei 120 Meter pro Stunde(!) zurück. Ich warf die Nerven weg, als ich mit ihm spazierte. Ein Gespräch war unmöglich, weil er sich so stark konzentrieren musste, dass er nicht reden konnte. 70 Tage war er unterwegs, wie in Super-Zeitlupe. Er geht so langsam, dass kein Kreuzworträtsel dem nahekommen könnte. Schneckentempo wäre eine maßlose Untertreibung.

Beerstecher war schon in der Sahara mit einem Surfbrett unterwegs und ist mit einem Vogelkäfig auf dem Rücken durch den Urwald gegangen. Damals ging er noch normal. Inzwischen ist er nicht einmal mehr entschleunigt, sondern bewegt sich von Stillstand zu Stillstand in für Menschen fast nicht erkennbaren Nanobewegungen.
Der erste Mensch, dessen Gehgeschwindigkeit sogar mich zur Weißglut trieb. „Herr Beerstecher, ginge es wenigstens ein Eitzerl zügiger?“, brüllte ich den deutschen Lahmarsch nach zweihundert Metern und beinahe zwei Stunden an, aber er lächelte nur, fokussiert auf den nächsten Zeitlupenschritt.

Ich erzählte ihm völlig unmotiviert von Ernst Waldfried Josef Wenzel Mach, dem großen österreichischen Physiker, dessen Name heute unter anderem als Maßeinheit für die Geschwindigkeit von Düsenjets verwendet wird. „Mach’ mal schneller“, hatte ich wohl zu dem Aktionskünstler sagen wollen und war so auf den Wissenschaftler gekommen, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Professor in Prag und Wien war.
„Nach Beerstecher wird nie eine Düsenjet-Geschwindigkeit benannt werden“, blökte ich den Künstler an. Er blieb ganz stehen. „Doch“, sagte er, sehr langsam und getragen. „Zen-buddhistische Düsenjets“. Dann „ging“ er weiter. Im Kreuzworträtsel würde stehen: „Sehr langsam gehen, mit 0 Buchstaben.“

Seit dieser Begegnung komme ich mir mit meinem Gehtempo vor wie ein Gepard. Es ist keine Mach-Geschwindigkeit, aber mach nix. Dafür bin ich beim Essen immer als Erster fertig. Selbst bei Slow Food. Interessanterweise höre ich da immer: „Iss langsamer!“
„Ach, jetzt plötzlich!“, sage ich dann. Schnell essen mit 9 Buchstaben: schlingen.