Ungeduscht, geduzt und ausgebuht. So ist der Titel eines Buches von Max Goldt. Ein guter Titel, der mir jetzt immer wieder mal in den Sinn kommt, wenn es um Ungeimpfte geht. Ungeimpft, geduzt und ausgebuht. Ich stehe meistens aufseiten derer, die benachteiligt sind und Ungeimpfte werden natürlich benachteiligt werden. Sie werden vor Theatern stehen und nicht hineindürfen. Sie werden vor Flughäfen stehen, vor Restaurants, vor Kaffeehäusern und nicht hineindürfen. Wie ich als Ausländer bei Nationalratswahlen vorm Wahllokal neben den Hunden angebunden werde, werden Ungeimpfte auch draußen bleiben müssen. Die feinen Geimpften werden hineingehen und die Ungeimpften schauen ihnen sehnsüchtig hinterher.
„Gut, Geimpfte dürfen überall hinein, aber dafür dürfen Ungeimpfte in die Intensivstationen“, sagte ein Bekannter. Das ist zynisch, auch wenn es stimmt. Aber zynische Gesellschaften sind nicht erstrebenswert. „Wir müssen die Ungeimpften einfach überzeugen, indem wir besser aufklären“, hörte ich einen Politiker sagen und der Politiker war nicht Herbert Kickl. Herbert Kickl behauptete jetzt, „ein intaktes Immunsystem“ zu haben und „das mache die Menschen stark gegen das Virus mit all den Mutationen, die von irgendwelchen Leuten entdeckt worden sind.“ Das ist schön für Kickl, aber laut Ärzten „ein totaler Blödsinn. Das ist so was von widerlegt und falsch“, entgegnete der Chef der Covid-19-Intensivstation in Wien-Favoriten.
Da ich auch Ärzte in meinem Bekanntenkreis habe, muss ich den Kleifaz (Kleinster Führer aller Zeiten) allerdings zumindest vorsichtig warnen. Alle Menschen, die ich kenne, die Medizin studiert haben, geben dem Arzt aus Favoriten recht. Und, so gemein das klingt, alle meine Ärzte malen düstere Bilder an die Wände der Ungeimpften. Nicht ins Theater dürfen ist da noch das angenehmste Bild. „Jeder? Wirklich jeder Ungeimpfte wird sich im Herbst und Winter angesteckt haben?“, frage ich ungläubig die Wissenschaftler und sie nicken betrübt. Weil sie wissen, was das bedeutet und das bedeutet nichts Gutes.
Ungeimpfte aufzuklären halte ich für kein gutes Argument, weil jeder bereits seit über einem Jahr aufgeklärt sein müsste. Gut, wenn man sich im Februar letzten Jahres bei einer Wanderung durchs Gesäuse verlaufen hat und erst jetzt von der Bergrettung gefunden wurde, dann benötigt man Aufklärung. Das ist das Virus, das kann passieren, das kann man machen, das sagt die Wissenschaft, von mir aus auch: Das sagt Kickl und jetzt bitte eine Meinung bilden. Denn es geht um eine Solidarität in der Gesellschaft, man hat da gewisse Verpflichtungen allen anderen gegenüber. Vielleicht denkt sich der verirrte Wanderer: Ach, hätt man mich doch nie gefunden! Aber wir sind nun mal, mehrheitlich, nicht Verlaufene im Gesäuse, sondern hier und jetzt. Duschen wir, siezen wir uns und grüßen wir freundlich. Am besten geimpft.
Dirk Stermann