Mit Büchern wie "Der taumelnde Kontinent" (Europa 1900-1914) und "Die zerrissenen Jahre" (1918-1938) hat der Philosoph und Historiker Philipp Blom Bestseller in Sachen Geschichte geschrieben. Mittwochabend hielt der gebürtige Hamburger und Wahlösterreicher die Eröffnungsrede zum diesjährigen Elevate-Festival, das bis Sonntag ein breitgefächertes Musik-, Kunst- und Diskursprogramm anbietet. "Wie geht eigentlich Zukunft?" lautet der Titel der Rede, die Blom nicht vom Papier las, vielmehr ließ er dem gesprochenen Wort freien Lauf. Und es waren schmerzhaft eindringliche Worte, die unter die Haut gingen und vom Publikum heftig beklatscht wurden.
Nach Begrüßungsworten der beiden Elevate-Organisatoren Bernhard Steirer und Daniel Erlacher und Statements der anwesenden Politiker - Vizekanzler Werner Kogler, Landesrat Christopher Drexler und Stadtrat Günter Riegler - trat Philipp Bloom ans Pult und skizzierte mit gelassener Eindringlichkeit ein Bild der Zukunft, das den Titel "Die taumelnde Welt" tragen könnte. Sein erster Satz bezog sich allerdings auf die Pandemie: "Ich hatte Covid", sagte Blom. "Das war nicht lustig, lassen Sie sich bitte impfen."
Das verbale Serum, das Blom dann dem Publikum verabreichte, tat seine Wirkung, denn immer wieder gab es trotz düsteren Inhalts Zwischenapplaus. Die Frage "Wie geht eigentlich Zukunft?" ist für Blom im Grund leicht und kurz beantwortet: Wir haben keine, wenn wir so weitermachen wie bisher - und alles deutet darauf hin, dass wir das tun." Und an die Adresse der anwesenden Prominenz: "Wir haben keine Politiker, die uns sagen: So könnte dieses Land in Zukunft aussehen, wenn wir uns bemühen."
Von der Bibel zur Aufklärung
Blom sprach von Multimilliardären, die in "gigantischen Phalli Richtung Himmel" fliegen, während die Menschen auf der Erde hauptsächlich mit ihrer Statuserhaltung beschäftigt seien. Blom: "Es ist ein Wahnsinnstrip, den das Tier Homo Sapiens da hinlegt." Seine Rechnung, wie viel Gletschereis und Regenwald pro Minute verschwinden, ist längst kein Horrorszenario mehr, sondern tagtägliches Faktum.
Dann streift Blom durch die Jahrtausende, beginnend mit einem Satz, den er als "mythologische Atombombe" bezeichnet. Der allseits bekannte Satz lautet: "Macht euch die Erde untertan." Blom: "Diese Worte haben sich zum Selbstmordkommando entwickelt." In der Aufklärung sei dann die menschliche Naturbeherrschung durch die technische ersetzt worden. "Wir stehen vor dem Bankrott eines Weltbildes, weil wir zu mächtig geworden sind. Und wir ersticken an den Nebenwirkungen unseres Erfolges."
"Zukunft entsteht, wenn Gegenwart gestaltet wird." Man spürt, dass Blom das Publikum mit einem positiven, zuversichtlichen Gedanken in die laue Nacht entlassen möchte. Aber ganz gelingt das nicht. Denn der letzte Satz lautet: "Für Pessimismus ist es eigentlich schon zu spät." Dennoch: Anhaltender Applaus für diese Brandrede über die taumelnde Welt.
Das Suchen nach Sündenböcken
Ähnlich düster, wenngleich nicht ganz aussichtslos war die Zukunftsprognose der deutschen Philosophin und Autorin Ariadne von Schirach, die am Donnerstag am Diskursprogramm des Festivals teilnahm. „Die Gegenwart ist bedrohlich und verrückt“, so Schirach. „Und dass alles in Bewegung ist, hört sich nur dann gut an, wenn man auf sicherem Grund steht.“ Doch davon kann keine Rede sein.
Dennoch sieht Schirach Spielraum zwischen Allmacht, Ohnmacht und der Macht zur konstruktiven Veränderung. „Es ist wie beim Atmen. Es erfolgt automatisch, aber wir können es auch beeinflussen.“
Blom verwendete ein biblisches Bild, Schirach ebenfalls: „Die Sintflut ertränkt uns noch nicht, aber sie spült alles nach oben.“ Als da wären: Rassismus, Sexismus, Klimakatastrophe, Gesundheitskatastrophe und mittendrin eine immer größere Phalanx von Verschwörungstheoretikern, die die Sünden der Menschheit an einigen wenigen Sündenböcken festmachen möchte.