In Ihren vorigen Filmen wie „We Feed the World“ prangerten Sie die Nahrungsmittelproduktion und Industrialisierung von Lebensmitteln an, in „Let’s Make Money“ sezierten Sie das globale Finanzsystem und in „Alphabet“ zeigten Sie die Missstände im Bildungssystem auf. Ihr neuer Film „But Beautiful“ ist anders, weniger streitbar, optimistischer, milder. Sie porträtieren Menschen und Initiativen, die neue Wege eines guten Lebens gehen. Es wirkt wie eine Richtungsänderung – was ist seit damals in Ihrem Leben passiert?
ERWIN WAGENHOFER: Es ist in unser aller Leben etwas passiert. Seit Drehstart 2015 gab es so gravierende Veränderungen, dass es eine Gegenkraft braucht. Meine Idee war, einen Film über Verbundenheit zu machen. Verbundenheit in der Musik zum Beispiel. Und wenn Sie über Verbundenheit nachdenken, landen Sie ganz schnell bei Weiblichkeit, weil sie dort am stärksten ausgeprägt ist.


Was meinen Sie damit?
In unserem Konzeptpapier steht, dass es ein Film über Verbundenheit, Weiblichkeit und Sinnlichkeit ist. Ich versuche das zu erklären: Seit Jahrtausenden leben wir mit einer Haltung, die darauf fußt, zu trennen und zu unterscheiden – in der Physik, der Biologie, bei Viren, Bakterien, Molekülen und so weiter und wir waren damit sehr erfolgreich. Die Wissenschaft ist aber immer mehr draufgekommen, dass sie, selbst wenn sie Körper komplett zerlegt, nicht einmal in den Molekülen das Leben findet. Dann hat man begonnen, das zu hinterfragen, und hat erkannt, dass es besser ist, nicht mehr alles zu differenzieren, sondern zu integrieren und die Zusammenhänge zu sehen.


Und was hat das mit Weiblichkeit versus Männlichkeit zu tun?
Wenn wir das kurz zusammenfassen – und eine andere Chance haben weder Sie noch ich –, dann steht das Differenzieren für das männliche Prinzip. Deswegen führen Männer auch gerne Krieg, ziehen Grenzen und stecken ab. Während das Integrierende für das weibliche Prinzip steht.


Sie behaupten in Ihrem Film ja, dass Frauen die Zukunft sind.
Ja, und das ist mir seit vielen Jahren klar. Damit meine ich aber nicht Frauen wie Angela Merkel, denn die arbeitet auch nach dem männlichen Prinzip. So verhalten sich Frauen oft, wenn sie in Führungspositionen kommen. Die wenigen müssen sich durchboxen und noch männlicher sein als die anderen Typen das ohnehin schon sind. Die mexikanische Sängerin im Film sagt ja auch: „Die Frau muss mit ihrer weiblichen Kraft stark sein.“


Zurück zum Begriff Verbundenheit: In welchen Bereichen der Gesellschaft fehlt Ihnen diese denn?
Wir haben überhaupt keine Verbundenheit, wir leben im Wettbewerb, sind eine Konkurrenzgesellschaft mitsamt Ellbogentaktik. Das ist komplett falsch. Deswegen kommen wir auch nicht weiter. Lesen Sie doch einmal die Wirtschaftsteile einer Zeitung und schauen Sie, wie oft dort das Wort Wettbewerbsfähigkeit steht. Was heißt das überhaupt? Im Sport existiert der Wettbewerb nach wie vor, auch wenn er sehr von Geld dominiert ist, weil dort alles eingeteilt und kategorisiert ist. In der Wirtschaft ist das nicht so: Der österreichische Bauer muss mit dem afrikanischen Bauern konkurrieren. Am Weltmarkt wird dasselbe Produkt – zum Beispiel Weizen – irgendeinen Preis erlangen. Das ist eine idiotische Idee.


Wie ist es in der Politik um die Verbundenheit bestellt?
Die Regierungen, die wir haben, sind Spalt-Regierungen und das Geld ist ein Spalt-Geld. Das treibt die Menschen auseinander anstatt zusammen. Das Spalt-Prinzip geht auf Machiavelli zurück – teile und herrsche. Und das ist dermaßen veraltet. Damit werden wir die Herausforderungen, die wir jetzt haben, nicht bewältigen können.


Ein junges Jazz-Trio und ein etablierter Pianist vermitteln uns in Ihrem Film den Klang der Schönheit, sie besuchten Permakultur-Visionäre auf Palma und Solaranlagen-Pionierinnen in Indien. Was wollen Sie uns damit sagen?
Ich wollte einen Film drehen, der Menschen Mut macht und sie inspiriert. Damit sie dann vielleicht sagen: „Okay, ich kann etwas verändern, indem ich bei mir selber anfange.“ Schon alleine dadurch kann sich sehr viel verändern. Wer immer nur im Außen Lösungen und Fehler sucht, macht es sich sehr einfach. Und damit landet man schlussendlich dort, wo wir jetzt sind. Es ist halt so einfach, zu sagen: „Der ist schuld. Die sind schuld. Nur ich bin ganz sicher nicht schuld.“ Das ist eine Haltungsfrage – und das interessiert mich.


Ich behaupte, das hat Sie auch schon bei Ihren anderen Filmen interessiert.
Ja, das Essen hat mich nicht so sehr beschäftigt, sondern vielmehr, mit welcher Haltung oder Einstellung wir damit umgehen. Jetzt, so viele Jahre später nach „We Feed the World“ von 2005, kommt die Politik langsam darauf, dass man vielleicht ein Gesetz beschließen könnte, Lebensmittel nicht mehr wegzuwerfen. Das wäre auch schon viel früher gegangen. Wir dürfen nicht vergessen: Wir Menschen machen das alles. Wir bestimmen. Und umgekehrt kann der Mensch so stark sein, wenn er will. Und so viele gute Dinge ins Leben bringen. Das ist eigentlich das schöne Leben.


Wo verorten Sie das große Aber, das Sie auch dem Titel Ihres Filmes voranstellen, der auf einen Song von 1947 zurückgeht?
Ich bin ein großer Jazz-Fan und habe früher auch selber gespielt. Neben dem Song kam 1994 auch ein Buch mit dem Titel „But Beautiful“ von Geoff Dyer heraus, das mich fasziniert hat. Dieses Aber vor dem Schönen ist genau das, womit wir konfrontiert sind.


Nämlich?
Im Deutschen sagt man immer Sachen wie: „Das wäre ja schön, aber ...!“ Dieses Aber kehrt immer wieder und wird dann so übermächtig und oft größer als das Schöne. Mit diesem Gegensatz zu spielen, hat mir gefallen. Das sitzt. Ich kann das rational gar nicht so erklären, das ist mit einem Ohrwurm vergleichbar.
2005, Sie haben es vorhin selbst erwähnt, war die Welt noch nicht bereit für eine Veränderung in puncto Haltung zu Lebensmitteln. Sind wir jetzt schon bereit für Veränderung und für einen Film wie „But Beautiful“?
Das kann ich nicht sagen. Ich versuche es, mit einem Erlebnis von vor Kurzem zu beschreiben. Es taucht eine Generation auf, die das Zepter in die Hand nimmt und sich nicht aufhalten lässt. Und bei Kindern kann man nicht so einfach mit Polizei und Militär auffahren. Das ist etwas anderes als bei den Gelbwesten. Zuletzt habe ich in der „Süddeutschen Zeitung“ einen großen Artikel über Greta Thunberg und ihre Aktivitäten gelesen. Titel: „Immer mit der Ruhe“. Bebildert war der Bericht mit einem Foto, auf dem sie zu sehen ist, wie sie Barack Obama die Hand gibt. Bildunterschrift: „Du veränderst gerade die Welt“, soll Obama zu ihr gesagt haben. Ich stelle mir die Frage: „Obama, warum hast du sie nicht verändert?“ Er ist übrigens mein Jahrgang und ich spiele schon lange mit dem Gedanken, dass es unsere Generation ziemlich versemmelt hat.


Der Film ist also ein bisschen Wiedergutmachung?
Der Grund, warum ich diese Filme mache, ist: Weil wir das jetzt brauchen. Das ist unser Mini-Beitrag zu diesem Wandel.
Also Verbundenheit über die Generationen hinweg.
Ja, das ist mir ganz wichtig. Also meine Generation kann nichts mehr machen, außer den Jungen moralisch und mental recht zu geben, ihnen den Rücken zu stärken und stets zu sagen: „Macht das, ich bin dabei!“