Gemischt fielen die Reaktionen auf Jessica Hausners "Little Joe" bei den Filmfestspielen Cannes aus. Ihr erster auf Englisch gedrehter Film brachte der österreichischen Regisseurin ihre bereits fünfte Einladung an die Croisette, wobei sie nach Nebenschienen-Auftritten heuer erstmals im Wettbewerb vertreten ist. Die "Irish Times" gab Hausners Wettbewerbsbeitrag vier von fünf Sternen. "Little Joe" sehe "absolut umwerfend" aus und sei ein Film, "der ebenso irritiert wie er Vergnügen bereitet". Man dürfe ihn aber nicht oberflächlich bewerten. "Graben Sie tiefer, und 'Little Joe' wird Ihnen schlaflose Nächte bereiten." Als zentrale Frage kristallisiere sich heraus: "Macht es etwas aus, wenn Glück nur künstlich hergestellt wird? Der Film gibt darauf keine Antwort, aber bietet eine wunderbar gruselige Darstellung davon, wie eine Verseuchung mit bio-chemischer Zufriedenheit aussehen könnte. (...) Viele werden 'Little Joe' ein bisschen langsam und elliptisch empfinden, aber er geht unter die Haut und nistet sich ein. Eine herausragende Kuriosität." 

Als auf "hochgradig artifizielle Weise" zurückgenommen beschreibt der "Tagesspiegel" Hausners Horror-Variation. "Mit der antiseptischen Labor-Ästhetik" zeige die 46-jährige Wienerin, "dass sie auch andere erzählerische Register beherrscht". Die Tatsache, dass es Hausner mit ihrem fünften Cannes-Auftritt nun auch in den Wettbewerb der renommierten Filmfestspiele geschafft hat, "lässt zudem erahnen, gegen welche Beharrungskräfte eine Regisseurin in Cannes anzukämpfen hat".

Weniger begeistert zeigte sich der "Guardian", wobei unter anderem gemutmaßt wird, dass die Sprachbarriere von Nachteil gewesen sein könnte. "Aber es ist ein faszinierend aussehender Film, gedreht in einem kalten, klaren, knackig-frischen Stil, der an sich schon eine Erheiterung ist." Doch trotz der optischen Finesse vermisse man eine grundsätzliche Spannung, während sich Hausner zu stark an einer Arthouse-Charakteristik orientiere. "Es ist ein Stimmungsstück - nur führt diese Stimmung nirgendwo hin."

Ein "Euro-Pudding"

Ähnlich fällt das Urteil im "Hollywood Reporter" aus: Der Film sei eine "leblose Variation von 'Die Körperfresser kommen'", voller "langweiliger erklärender Dialoge, identischer seitlicher Kamerafahrten, wenig überzeugendem Casting und einer Therapeuten-Figur, die nur als Ventil für die Sorgen des Hauptcharakters dient". Dass zudem jegliche Spannungselemente fehlen, deute letztlich auf eine "kurze kommerzielle Lebensdauer dieses geschmacklosen Euro-Puddings" hin. "Hier passiert einfach nichts, das von Interesse sein könnte, noch gibt es auch nur eine Szene, die den Puls des Publikums nach oben treiben würde."

"Jessica Hausners kunstvoller, nervender Horrorfilm ist ein 'Die Körperfresser kommen' im Zeitalter der Antidepressiva", heißt es auch in "Variety". Der Style wecke Erinnerungen an David Cronenberg und Stanley Kubricks "The Shining". Wie man auf den Film reagiere, hänge wohl stark von seiner eigenen Haltung zu Antidepressiva ab. "Aber weil man tatsächlich nur wenig direkte mediale Kritik an unserer an Psychopharmaka hängenden Kultur findet, ist vielleicht ein Horrorfilm der ideale Rahmen, darauf hinzuweisen, dass wir eine Gesellschaft werden, die sich bedenkenlos dem Diktat des 'Sich gut Fühlens' ergibt."