Hermann Nitsch ist ein Künstler, der alle Sinne anspricht. Bei seinen Aktionen geht es um optische Reize ebenso wie das Fühlen, Riechen, Hören. Die Albertina versucht nun einen neuen Zugang zum Oeuvre des 80-Jährigen und hat sich dafür einen Aspekt herausgepickt: "Räume aus Farbe" (17. Mai bis 11. August) konzentriert sich ganz auf die Malerei von Nitsch. Es ist ein Eintauchen in den Farbrausch.
Wobei man in der Ausstellung zunächst auf einen Raum aus Zwielicht und monochromer Charakteristik trifft: Eingangs ist nämlich das "Blutorgelbild" von 1962 platziert, auf schwarzem Hintergrund und durch die zurückgenommene Beleuchtung gewissermaßen als Vorhut für das, was sich dahinter entfalten soll. Zum Werktitel passend, wird hier schon deutlich, dass die Beschränkung auf die Malerei so nicht ganz stimmt: Die Ausstellung hat nämlich eine Tonspur, es erklingen beispielsweise das "Harmoniumwerk" oder "Dionysos gegen den Gekreuzigten".
Wenige Schritte weiter wird dann das Vorhaben von Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder und Kuratorin Elsy Lahner deutlich: Der "Schwarze Zyklus I" breitet sich auf drei Seiten in voller Pracht aus, nimmt den gelb strahlenden "Auferstehungszyklus II" in seine Mitte und umrahmt zudem vier größtenteils in Rot gehaltene Bodenschüttbilder. Die Intensität der Arbeiten, die weitläufige Form und ihre einzigartige Struktur ziehen den Betrachter unweigerlich in ihren Bann. Die Bilder stehen für sich, versprühen einen eigenen Rhythmus. Und doch schwingt bei Nitsch, selbst in dieser Fokussierung auf einen Ausdruck, stets der Kontext, die Entstehung mit.
"Er ist ein Künstler, der wie kein anderer für das Gesamtkunstwerk steht", sagte Schröder bei einer Presseführung am Donnerstag. Mit "Räume aus Farbe" wolle man den Besuchern aber die Möglichkeit geben, "Vorstellungen zu revidieren. Es ist die Chance, einen Künstler zu erkennen, der als ganz großer Traditionalist und Erneurer zu jenen gehört, auf die Österreich stolz sein kann." Zudem werde "die Unveränderlichkeit des Nitschschen Werks demoliert". Mit einer Zeitspanne von 1962 bis 2018 zeigen die rund 100 Bilder, dass sich Nitsch stets neue Schwerpunkte und Herangehensweisen suchte.
So nimmt etwa die "Kathedrale der Farben" einen eigenen Raum ein. Sie entstammt der 56. Malaktion von 2009, gibt sich äußerst bunt wie intensiv und holt mit den Fußabdrücken seiner Assistenten wiederum die Entstehung selbst in diese Nitsch-Schau zurück. Wenige Schritte davon entfernt leuchten farbige Rinnbilder, während ein Blick um die Ecke die "Braune Serie" offenbart und ein "Ochsenbild" die Farbexplosion zurücknimmt, sich ganz auf Kraft und Ausdruck konzentriert. Natürlich darf das berühmte "Sechs-Tage-Spiel" nicht fehlen: Es ist mit Relikten und Aufführungsbildern vertreten, zudem gibt es eine Videoinstallation, die diese und weitere zentrale Aktionen von Nitsch nochmals vor Augen führt.
Durch die Präsentation ganzer Serien rückt das Einzelbild in den Hintergrund und verstärkt sich der prozesshafte Eindruck der Kunst von Hermann Nitsch. "Die Räume wurden um diese Werkserien herum gebaut, teils sind die Arbeiten zentimetergenau eingefügt", betonte Lahner. Dadurch wird ein Betrachten möglich, das neben dem immer lohnenden Herantreten an diese expressiven Bilder auch die teils nötige Distanz bereitstellt: Mitten im Raum stehend, lassen sich die Unterschiede und Gemeinsamkeiten erkennen, wirken die Farb- und Formverläufe ganz im Sinne ihres organischen Werdens und wird grundsätzlich das Ausmaß der Werke deutlich.
Nitsch selbst bedankte sich für Schau und Konzept. "Normalerweise mache ich ja meine Ausstellungen selber", meinte er schmunzelnd. "Hier ist etwas gelungen, das mir ganz große Freude macht. Es konzentriert sich auf das Optische, das sich auf der Bildfläche seismografiert hat." Und schließlich fand er noch einen Bezug zu seinem musikalischen Werk, "da bin ich ja schon längst den Weg gegangen wie hier", verwies er auf konzertante Aufführungen seiner Stücke und damit die Loslösung vom großen Ganzen. Apropos Musik: Sein 2. Streichquartett kommt am 29. Mai im Rahmen der Ausstellung in der Albertina zur Uraufführung.