Nie zuvor hat die Verleihung der Carl-Zuckmayer-Medaille des deutschen Bundeslands Rheinland-Pfalz so hohe Wellen geschlagen: Wenn Robert Menasse die Auszeichnung am Freitagabend in Mainz erhält, wird überall im deutschsprachigen Raum über seinen Umgang mit Zitaten und historischen Fakten diskutiert. Hinter dem Disput steht auch der Streit über die Rolle der Nationen in der Europäischen Union.
Im europäischen Projekt gehe es um nichts weniger als um eine "Überwindung des Nationalismus, letztlich der Nationen", schreibt der österreichische Autor in seinem Roman "Die Hauptstadt", der gut ein Jahr nach seinem Erscheinen und der Ehrung mit dem Deutschen Buchpreis auf einmal höchst umstritten ist. Ein Aufhänger der Kontroverse ist ein Zitat, das Menasse dem Europa-Gründervater Jean Monnet in den Mund legt: "Nationalismus führt zu Rassismus und Krieg, in radikaler Konsequenz zu Auschwitz." Um dann fortzufahren: "Aus diesem Grund hat der erste Kommissionspräsident, der Deutsche Walter Hallstein, seine Antrittsrede in Auschwitz gehalten." Der über weite Strecken ironisch gehaltene Gesellschaftsroman präsentiert daraufhin die Idee eines eigenwilligen Professors, der eine neue europäische Hauptstadt in Auschwitz verorten will.
"Ein Roman darf alles"
"Ein Roman darf grundsätzlich alles", sagt der Frankfurter Literaturprofessor Heinz Drügh. Daran anknüpfend hat Menasse Hallstein, dem ersten Kommissionspräsidenten des EU-Vorläufers Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), auch "in öffentlichen Äußerungen und nicht-fiktionalen Texten" Zitate zugeschrieben, die er so nicht gesagt hat, wie der Wiener Schriftsteller einräumte. Und er bedauerte: "Es war unüberlegt, dass ich im Vertrauen auf Hörensagen die Antrittsrede von Hallstein in Auschwitz verortet habe. Diese hat dort nicht stattgefunden."
Bereits Ende 2017 warf der Historiker Heinrich August Winkler der Autor vor, Hallstein zu einer tatsächlich gehaltenen Rede falsch zitiert zu haben. Winkler wandte sich dabei gegen eine Abschaffung der Nationalstaaten in Europa. Dieser Linie folgen auch die rheinland-pfälzischen Oppositionsparteien CDU und AfD, die den Preis des Landes für Menasse scharf kritisiert haben.
Die Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) will jedoch mit der Preisverleihung das "beeindruckende literarische Gesamtwerk" Menasses würdigen. Auch habe er mit seinem engagierten Streiten für die europäische Idee die politische Debatte um die Zukunft der EU sehr bereichert. In einer Stellungnahme räumte Menasse ein, dass die künstlerische Freiheit im Roman und Spielregeln im politischen Diskurs nicht vermengt werden dürften. "Darauf werde ich achten und darauf können Sie sich verlassen."
Preisverleihung morgen
Der Entscheidung der Staatskanzlei in Mainz, an der Preisverleihung festzuhalten, gingen Gespräche zwischen Dreyer, Kulturminister Konrad Wolf (SPD) und Menasse voraus. Mit Menasse sei Klarheit darüber hergestellt worden, dass die "vorbehaltlose Anerkennung von Fakten zum Wertefundament unserer liberalen Öffentlichkeit gehört", betonte Dreyer anschließend.
Die Carl-Zuckmayer-Medaille ist die höchste kulturelle Auszeichnung des Landes Rheinland-Pfalz. Der Preis wird seit 1979 am Todestag des rheinhessischen Dichters, dem 18. Jänner, überreicht. Der Preisträger bekommt dann auch ein 30-Liter-Fass mit Wein aus Zuckmayers Heimat Nackenheim. Mit der Auszeichnung sollen besondere Verdienste um die deutsche Sprache gewürdigt werden. Ausgewählt wird der oder die Preisträgerin von einer Kommission unter Vorsitz von Kulturminister Konrad Wolf (SPD).
Menasse bleibt nach der Ehrung für eine weitere Veranstaltung in Mainz: Am Samstag (19. Jänner) spricht er im Staatstheater mit dem ZDF-Chefredakteur Peter Frey sowie der Literatur- und Kulturwissenschafterin Aleida Assmann - Thema ist erneut Europa.