Ihr kann man alles zutrauen. Den Weltfrieden anzustiften sowieso. Aber auch den Kampf gegen Korruption, Überfettung, Entsolidarisierung oder Wiener Grant zu gewinnen. Sie würde wohl die Fernseh-Primetime gegenüber Streamingdiensten erfolgreich verteidigen. Vielleicht hätte mit ihr sogar „Wetten, dass ..?“ überlebt. Und angenommen, ihre Stimmbänder würden keinen Heile-Welt-Schunkelschlager produzieren, sondern Pop, Softrock oder Dance, sie könnte das auch. Locker und lächelnd.
Denn sie ist die personifizierte Glückseligkeit: Helene Fischer. Schlagerkönigin, Marketingphänomen, Popprinzessin, die fleischgewordene sexy Pose und die herzzerreißende Botschafterin der Liebe. Ihr Pheromon: Vitamin H. Ein Vollprofi, der nicht auf große, sondern lieber auf XXLarge-Emotion setzt.

„Hört ihr mich?“, eröffnete ihre Stimme aus dem Off den Open-Air-Abend vor knapp 40.000 Menschen im Wiener Happel-Stadion. Dann fuhr die Königin als Glitzer-Cowgirl im Knappest-Outfit und mit Overknee-Stiefeln vom Bühnenboden aus ins Licht. Und verkündete salbungsvoll: „Heute Abend gehöre ich nur euch.“


Große Emotionen verlangen großen technischen Aufwand: Fischers Konterfei und ihr Körper flimmern während der 135-Minuten-Show, die zugleich ausgelassene Sommerparty, zuckerlrosa Kindergeburtstag, anmutige heilige Schlagermesse oder billiges Softporno-Casting ist, auf einer 1000-Quadratmeter-LED-Fläche. Dazu werden 200 Kilogramm Konfetti in die Menge geschossen und 500 Kilogramm Pyro entflammen aus 60 Düsen gegen Ende über ihren Tänzerinnen und Tänzern und der Musiktruppe.

„Ich möchte Liebe versprühen. Ich habe ja genug davon“, bezirzte sie ihr Publikum. Für die Nähe zu ihm fuhr sie auf einem Helene-Mobil, das jenem von Papst Franziskus gleicht, im Sonnenuntergang ihre Runden im Stadion. So werden auch die auf den billigeren Plätzen ein Teil der Gemeinschaft. Ein Selfie mit Helene. Wie eine Predigerin schwört sie ihre Fans auf ihre Werte ein: die Liebe, das Leben, die Freiheit – und natürlich die Hoffnung auf das alles.


Aber eigentlich ist der Text die Nebensache des Abends: Das bunt gemixte (und textsichere) Publikum, in das sich der Teenager genauso einfügt wie die unternehmungslustige Uroma, würde ihr sowieso alles abnehmen. Schunkeln verbindet. Und die Aussicht auf die Aufnahme in diese heile Welt umso mehr. An dem mitstampftauglichen 90er-Jahre-Medley und einlullenden Textbrocken wie „Niemand ist fehlerfrei“ oder „Ich lass mein Herz für euch beten“, „Das Leben ist mein Ass“ oder „In unseren Herzen ist es warm“ wird sich niemand stoßen.

Im Gegensatz zu seelenschmeichelnden Worten raubte einem die atemlose, technoide Show, in der nichts dem Zufall überlassen wurde, aber jede Art von herzerwärmender Imagination.
Zum Finale servierte Helene die Große in einem Hauch aus rotem Nichts zum Song „Herzbeben“ einen wilden, ekstatischen Ritt auf einem Riesenherzen. Da sprang der Funke ganz ohne Firlefanz über. Und in diesem Moment fühlte sich das richtig an.