Heute wird die Grande Dame des britischen Rocks 70 Jahre alt. Zu lange wurde sie auf die Rolle als Jaggers Freundin reduziert, findet sie. "Es wäre großartig, wenn die Leute mich als arbeitende Musikerin mit einem unglaublichen Werk sehen könnten", sagte sie "Vanity Fair". "Das ist viel wichtiger als mein sagenhaftes Leben. Das meiste ist eine Lüge, eine Klatschspalten-Version von mir."
Und doch verdankt sie ihre Berühmtheit vor allem der Beziehung mit dem Stones-Sänger, ihre Aura von zügelloser Sexualität einer berüchtigten Drogenrazzia in Keith Richards Landhaus. Dabei ließ die ehemalige Klosterschülerin auf einmal den Pelz fallen, um den anwesenden Polizisten zu demonstrieren, dass sie wirklich nichts zu verstecken habe.
Ihre exzentrischen Eltern nannten sie schlicht Marian: Ihr Vater spioniert während des Zweiten Weltkriegs für die Briten und schloss sich später einer Kommune an. Sie wuchs bei ihrer Mutter auf, die aus der österreichisch-ungarischen Adelslinie der Sacher-Masochs stammte; auf den Urgroßonkel und seinen Roman "Venus im Pelz" wird der Begriff des Masochismus zurückgeführt. Faithfulls Mutter arbeitete als Busschaffnerin in Reading in der Nähe von London.
Schmollmund
Mit 17 entdeckte der Rolling Stones-Manager die Schönheit mit dem Schmollmund auf einer Party und schrieb für sie den Hit "As Tears Go By" mit Mick Jagger und Keith Richards, "den kleinen Song, mit dem die ganze verdammte Sache begann", so Faithfull. Dann ging alles ganz schnell: Ein Jahr später - 1965 - heiratete sie und bekam einen Sohn, mit 19 rannte sie mit Mick Jagger davon. Die beiden wurden zum Traumpaar der Swinging Sixties, reisten, feierten, nahmen Drogen.
Faithfull wurde schwanger, aber verlor die gemeinsame Tochter in einer späten Fehlgeburt. Schmerz, Trauer und Jaggers Untreue führten zu einer Abwärtsspirale. Ihr Drogenkonsum geriet außer Kontrolle. "Wenn ich Heroin nahm, fühlte ich keinen Schmerz, und das wollte ich damals", sagte sie später der "Daily Mail". Der Stones-Song "Sister Morphine", den sie zusammen mit Jagger und Richards schrieb, reflektiert diese Zeit.
Als Mick Jagger 1971 schließlich seine neue Flamme Bianca am Strand von Saint Tropez heiratete, saß Faithfull wegen Drogenmissbrauchs im Gefängnis. Ihr Sohn Nicholas wurde ihr weggenommen. "Ich dachte: 'Zum Teufel damit, dann kann ich auch Junkie werden. Kein Grund mehr, es nicht zu werden'." Zwei Jahre lang überlebte sie obdachlos im damaligen Londoner Rotlicht- und Musikerviertel Soho. "Das China-Restaurant ließ mich meine Klamotten waschen. Der Mann mit der Teebude gab mir Tee", erinnerte sie sich im Stadtmagazin "Time Out".
Ihre helle, melodische Stimme veränderte sich, wurde rau und tief. Sie war immer noch alkohol- und heroinabhängig, als sie ihr Album "Broken English" (1979) aufnahm. Erst Mitte der 80er Jahre - mit knapp 40 - wurde ihr klar, dass sie als einzige ihrer Freunde in der Drogenschleife hängengeblieben war. "Ich begriff, dass es mich umbringen würde", sagte sie der "Daily Mail" - und schaffte endlich den Entzug.
Krebsoperation
Ab 1991 arbeitete sie wieder als Schauspielerin, trat unter anderem in Dublin in der "Dreigroschenoper" auf und brachte zwei Alben mit Songs von Kurt Weill und Bertolt Brecht heraus, darunter "The Seven Deadly Sins". Stolz sei ihre Todsünde, bekennt sie. Den hat sie inzwischen gelernt herunterzuschlucken: Nach einer erfolgreichen Brustkrebsoperation mit knapp 60 überzeugte ihr Sohn sie, fürs Alter vorzusorgen. Deshalb steht sie oft auf der Bühne, tourt und nimmt immer noch Alben auf, zum Beispiel mit Musikern wie Billy Corgan von den Smashing Pumpkins oder PJ Harvey. Auch Nick Cave und Roger Waters haben Songs für sie geschrieben - Hauptsache, die Platten verkaufen sich.
Inzwischen lebt sie in Paris und Irland. Am 25. November sang sie in der wiedereröffneten Pariser Konzerthalle Bataclan zum Jahrestag der Terroranschläge. Bevor sie "As Tears Go By" anstimmt, den Song, mit dem alles anfing, steckt sie sich erst mal eine Zigarette an. "I know, I know" sagt sie schulterzuckend zum Gelächter des Publikums.
Der Song hat sie über 50 Jahre lang begleitet, in guten wie weniger guten Zeiten, ist mit ihr gewachsen. Ihre Stimme erinnert nur noch vage an den Engel der Sixties, doch Ausstrahlung und Schönheit sind ihr geblieben - Fluch oder Segen? Beides, sagte sie "Time Out": "Ich bin froh, dass ich sehr hübsch war, sehr froh. Aber es hat mir eine Menge Ärger eingebracht, nicht wahr?"