"The kid is not my son“, singt Michael Jackson in seinem Welthit „Billie Jean“, in dem sich der „King of Pop“ gegen eine ihm unterstellte Vaterschaft empört. „Das Kind ist nicht mein Sohn“, könnte auch Joseph in seinen Zimmermannsbart gemurmelt haben, als ihm Maria mit einem Bäuchlein entgegentrat und ihm von ihrer Schwangerschaft durch den Heiligen Geist erzählte. Welcher Mann, außer ein wahrhaft Heiliger, hätte ihr diese Geschichte so gutgläubig abgenommen? Selbst die Evangelisten hatten ihre liebe Not mit der außerehelichen Himmelszeugung Jesu und erzählen von einem Engel, der Joseph nächtens erscheint, um ihm aufzutragen, seine schwangere Verlobte zu heiraten und so ihre jungfräuliche Ehre zu retten.
Doch was zeigt uns Raffael in seinem ersten großen Meisterwerk aus dem Jahr 1504? Die Vermählung der Schwangeren mit ihrem bereits in den göttlichen Plan eingeweihten Verlobten? In der Bibel wird eine solche Szene nicht beschrieben. Nur das apokryphe Jakobus-Evangelium und die mittelalterliche „Legenda Aurea“ berichten ausführlich darüber, wie die erst 12 Jahre alte Tempeljungfrau Maria mit einem Witwer namens Joseph verheiratet wird – nicht unbedingt auf eigenen Wunsch, wie es scheint.
Der 21-jährige Raffaello Santi führt uns vor einer monumentalen Renaissancekulisse und im Beisein eines Hohepriesters den Moment der Ringübergabe vor Augen. Hinter Joseph, der dem Eidesritus entsprechend barfüßig dargestellt ist, stehen die enttäuschten Mitbewerber, von denen einer seinen Stab – der nur bei Joseph wundersam erblühte –über dem Knie zerbricht. Kein Kuss, keine körperliche Berührung stört die keusche Reinheit der Zeremonie. Partystimmung will in dieser elegant gekleideten Gesellschaft keine aufkommen. Doch Raffael lässt den Blick über das fast schwermütig wirkende Brautpaar hinweg bis zu einer Öffnung inmitten eines Tempels schweifen. Hier laufen alle Linien zusammen, hier befindet sich der Fluchtpunkt des Bildes, wo sich alle irdischen Probleme aufzulösen scheinen. Keine unschönen Szenen, keine Scheidung, wie bei fast jedem zweiten Hochzeitspaar unserer Tage, werden diese „Josefsehe“ trüben.
Franz Liszt, ein anderer Popstar seiner Zeit, war von Raffaels „Vermählung“ in der Mailänder Gemäldegalerie Brera derart beeindruckt, dass er sich davon zu seiner Klavierminiatur „Sposalizio“ inspirieren ließ. Der burgenländische Frauenschwarm, der selber nie heiratete, schuf so eine zärtliche Hommage an die Ehe und das Mysterium einer scheinbar selbstlosen Liebe.