Wieder einmal haben Sie Japan zum Schauplatz eines Films gemacht. Woher kommt Ihre Liebe zu diesem Land?
DORIS DÖRRIE: 1985 war ich zum ersten Mal dort, weil man mich mit „Mitten ins Herz“ zum Filmfestival eingeladen hatte. Ich bin durch das Land getrampt, war fasziniert, dass es so fremd war und ich mich trotzdem zu Hause fühlte. Ich bin inzwischen um die 25 Mal hingereist und habe dabei immer ein anderes Japan kennengelernt. Bei jedem Aufenthalt passiert einem irgendetwas. Beglückt war ich von der Aufmerksamkeit füreinander. Das hat etwas Zärtliches an sich. Die andere Seite ist, dass die Japaner in Form und Disziplin eingeklemmt sind.


Was gab den Anstoß zu „Grüße aus Fukushima“, Ihrem ersten Film, der zur Gänze in Japan entstand?
DÖRRIE: Ich war im November 2011, ein halbes Jahr nach der Katastrophe, in Fukushima, wo ich einen alten Mann traf, der auf den Fundamenten seines völlig zerstörten Hauses stand. Auch nach sechs Monaten schien er nicht wirklich begriffen zu haben, was ihm passiert war. Ihm, der seine ganze Familie, sein Haus, Hab und Gut verloren hatte. Und ich besuchte die Container-Unterkünfte, in denen auch heute noch Opfer der Katastrophe untergebracht sind. Viele alte Menschen, vornehmlich Frauen. Die Jungen haben die Region verlassen. Meine japanischen Freunde waren bestürzt, wie schnell die Europäer nach der Katastrophe abgehauen sind. Ich selbst hatte mir das Ausmaß nach den Nachrichtenbildern, die ich gesehen hatte, nie so schlimm vorgestellt.

Doris Dörrie mit den beiden Hauptdarstellerinnen bei den Dreharbeiten
Doris Dörrie mit den beiden Hauptdarstellerinnen bei den Dreharbeiten © MathiasBothor 2015


Sie schrieben daraufhin die Geschichte einer alten Frau, der letzten Geisha Fukushimas, und ihrer Begegnung mit der jungen Deutschen Marie, die nach zerplatzten Lebensträumen und dem Verlust ihrer großen Liebe für eine Hilfsorganisation in die Region kommt. Auch Geister spielen eine große Rolle. Glauben Sie an Geister?
DÖRRIE: Nein, ich selbst nicht. Doch wenn ich es mir aus anderer Perspektive ansehe, sind die Vergangenheit und die Menschen, die wir verloren haben, auch Geister.


Für die Japaner gibt es jedenfalls viele davon?
DÖRRIE: Solche der vergessenen Haushaltsgegenstände ebenso wie jene von plötzlich und unerwartet verstorbenen Menschen, die unerlöst umherirren. Und noch eine Menge mehr.


Die Dreharbeiten, hört man, waren nicht unbedingt luxuriös.
DÖRRIE: Es gibt dort, wo wir filmten, derzeit nur ein Krematorium, zwei Puffs und einen kleinen Supermarkt. Unsere Unterkunft waren Container, die wir mit Bauarbeitern teilten, die nach wie vor kontaminierte Erde abtragen müssen.


Haben Sie mit jungen Japanern aus dem Team gesprochen, ob sie möchten, dass wieder AKW in Betrieb genommen werden?
DÖRRIE: Die meisten wollen, dass „der Strom wieder läuft“, und würden es deshalb als verlogen empfinden, sich gegen Atomkraft einzusetzen.


Warum der Entschluss, in Schwarz-Weiß zu drehen?
DÖRRIE: Weil die Farbe aus diesem Gebiet verschwunden ist. Sie sehen nur noch matschgrün, ein oliviges Beige, fahles Gelb von abgestorbenen Gräsern und Hellgrau vom Himmel. Schwarz-Weiß hat dann eine andere Kraft und einen größeren Zeichencharakter.


Wie war Ihnen in dieser Zeit zumute?
DÖRRIE: Den Menschen, die nach fünf Jahren immer noch dort wohnen, ins Gesicht zu schauen, bricht einem fast das Herz.


Welche Zukunft haben diese Menschen Ihrer Meinung nach?
DÖRRIE: Keine. Es gibt keine Perspektive. Diese Menschen werden vergessen werden. Die Regierung schließt die Augen und möchte das so. Die demokratische Kultur des Aufbegehrens existiert dort leider nicht wirklich. Man lebt im stetigen Training, nicht sich selbst, sondern die Gemeinschaft wichtig zu nehmen, was alle sehr vorsichtig macht. Wie gesagt: Die Seite des Aufbegehrens fehlt. In der Geschichte ist es die Deutsche, die in einer privaten Krise nach Fukushima kommt und sich durch die Hilfe der alten Japanerin von den Gespenstern ihrer Vergangenheit löst. Aber am Ende ist sie es, die die alte japanische Geisha rettet.


Rosalie Thomass als Marie ist eine eher unerwartete Besetzung.
DÖRRIE: Ich wollte keine „reizende, süße“ Schauspielerin, sondern eine eher stattliche Person, die eine gewisse Härte an sich hat. Rosie hatte ich vor zehn Jahren einmal überragend in einem „Polizeiruf“ gesehen. Es dauert halt oft, bis man für jemanden dann die richtige Rolle hat. Ich habe diese Rolle aber dann nur ihr angeboten.


Haben Sie beim Dreh immer Geigerzähler mit sich gehabt?
DÖRRIE: Ja, und ich war daran schon von den vorigen Aufenthalten gewohnt. In der Luft gab es keine höheren Werte als etwa in München. Wie es in der Erde aussieht, ist eine andere Geschichte. Die ist immer noch stark belastet.


War von Anfang an klar, dass es eine Spielhandlung geben würde? Haben Sie nie an eine bloße Doku gedacht?
DÖRRIE: Nein, es gibt zu viele gute Dokus. Ich wollte immer einen Spielfilm dort drehen, eine Geschichte, die über eine Doku rausgeht, die Hoffnung für beide Hauptfiguren in sich trägt. Teils war das – zugegebenermaßen – ein Husarenritt.


Eine alte Geisha ist die Zentralfigur. Haben Sie in Japan auch echte Geishas kennengelernt?
DÖRRIE: Da gab es die 86-jährige Itosan, die die Katastrophe überlebt hatte. Sie war gerettet worden. Sie hatte eine große Sorge, nämlich, dass „ihr“ Lied, der sogenannte „Fisherman Song“, mit ihrem Tod in Vergessenheit geraten könnte. Da reisten drei junge Geishas aus Tokio zu ihr, um dieses Lied einzustudieren. Diese drei und der Song kommen jetzt in meinem Film vor. Itosan ist mittlerweile gestorben.