Im großen Ballettsaal der Wiener Staatsoper herrscht entspannte Stimmung. Die Tänzer machen Dehnübungen, probieren Schrittfolgen oder plaudern leise. Ballettchef Manuel Legris probt mit seiner Truppe Szenen aus "Le Corsaire". Nach zweieinhalb Stunden konzentrierter Arbeit ist der 51-Jährige müde, aber zufrieden mit seiner ersten eigenen Choreographie und den Leistungen des Ensembles: "Sie sind immer gut vorbereitet und geben sehr viel. Und ich habe für jeden speziell choreographiert; es ist ein Stück für meine Tänzer."

Wieso hat er gerade die gut 150 Jahre alte Ballettpantomime mit orientalischer Seeräuberromantik des französisch-russischen Choreographen Marius Petipa gewählt? "Ich wollte 'Le Corsaire' schon immer für Wien haben, weil ich dachte, das Publikum hier wird es mögen. Dass ich es auch selbst neu bearbeite, hat sich dann erst ergeben."

Verwirrung

"Am Anfang war ich in Panik", gesteht Legris, der niemals in diesem Werk getanzt hat. "Zunächst habe ich das Libretto gelesen und war komplett verwirrt. Diese Geschichte von Seeräubern, Haremsdamen, Sklaven und anderem exotischen Personal hat so viele Stränge, da verliert man den Überblick. Ich liebe klare, logische Handlungen und habe die Story so einfach wie möglich gestaltet und auch eine andere Musik von Adolphe Adam gewählt, die mir passender erschien."

Einige berühmte Szenen wie jene des "Sklaventanzes" hat er belassen, aber seiner Fassung entsprechend adaptiert. Beibehalten hat Legris auch das Vokabular des klassischen Tanzes: "Ich bin nun einmal ein klassischer Tänzer, und so ein traditionelles Handlungsballett gibt mir auch Sicherheit durch die Struktur. Es geht um dramaturgische Elemente wie das richtige Timing und die Zeichnung von Charakteren, und das liegt mir." Also war es die richtige Wahl, "und mittlerweile fühle ich mich gut als Choreograph".

Wohl fühlt sich Manuel Legris auch nach mehr als fünf Jahren Ballettdirektion mit gültigem Vertrag bis 2020. "Anfangs dachte ich, sieben Jahre genügen, aber jetzt genieße ich meine Arbeit." Die allgemeine Meinung über das Wiener Staatsballett ist seit ein paar Jahren wieder hoch, und die Kritik jubelt über die deutliche Verbesserung des Ensembles unter seiner Führung. "Das ist nicht mein alleiniges Verdienst, es ist Teamwork", sagt der Franzose, "aber jetzt ernte ich die Früchte meiner Mühe und freue mich über die Reife vieler Tänzer."

Freiraum

Bedauert er, nicht Ballettchef daheim, an der Pariser Oper, geworden zu sein, wo ab August die Tänzerin Aurélie Dupont die Compagnie leiten wird? "Ich kenne sie, sie wird das gut machen. Nach Wien zu kommen, war nach meiner Karriere als Tänzer das Beste, was mir passieren konnte. Denn hier kannte ich niemanden, eine ganz andere Situation als in Paris. Das gibt mehr Freiraum."

Immer wieder kritisiert wird der Mangel an zeitgenössischen Choreographien an der Wiener Staatsoper. Legris: "Da laufen Sie offene Türen ein, ich würde das gern machen. Aber die Disposition für zwei Häuser mit einer so geringen Zahl an Aufführungen ist ohnehin schon so kompliziert, dass ich kaum eine Möglichkeit sehe. Wir könnten den Choreographen gar nicht die nötige Probenzeit ermöglichen."

Höhepunkte

Dennoch wird es völlig neue Werke in den nächsten Saisonen zu sehen geben. "Wir haben am Haus selbst Tänzer, die sich als gute Choreographen entwickeln, wie Andrey Kaydanovskiy, der gerade erst mit dem Deutschen Tanzpreis 'Zukunft 2016' ausgezeichnet wurde. Und als besonderer Höhepunkt in der kommenden Saison: John Neumeier kommt mit einer Premiere nach Wien. Was das sein wird, gibt die Staatsoper im April bekannt."