Ist die Kür von "Spotlight" nun die große Überraschung der langen Oscar-Nacht oder ein logisches Ergebnis? Alles in allem hat die Academy-Jury ein weises Urteil gefällt. Jene Genrefilme, die an der Kinokasse reüssierten, wie George Millers Endzeitspektakel "Mad Max: Fury Road" oder Alejandro Gonzalez Iñárritus "The Revenant", haben (siehe rechts) mächtig abgeräumt. Für Tom McCarthys Enthüllungsdrama über die sexuellen Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche in Boston blieb aber nebst dem Preis für das beste Originaldrehbuch auch der Sieg in der Königsdisziplin "Bester Film".

Lob aus dem Vatikan

"Spotlight" behandelt ein gesellschaftlich relevantes Thema, das weltweit Wellen schlug. Zum Oscar gab es nun sogar eine Art Segen von höchster Stelle: Das Drama sei "überzeugend", zugleich aber keineswegs "antikatholisch", schrieb die Vatikan-Zeitung "Osservatore Romano" am Montag. Der Film ist auch Labsal auf den von Glaubwürdigkeitsproblemen verursachten Wunden des Journalismus. Der Film zeigt das Investigativteam des "Boston Globe" bei der Arbeit. Welche Fragen werden gestellt und welche nicht? Warum braucht es einen neuen Chefredakteur, damit die Scheinwerfer auf das Wesentliche gerichtet werden? Warum muss erst ein Jude aus Florida im katholisch geprägten Boston auftauchen, um nachzufragen, warum die Spürhund-Abteilung eigentlich nie den Skandal eines Priesters enthüllte, der über die Jahre Dutzende Kinder missbraucht hat? Ausweichende Antwort: Der Gerichtsakt sei doch schon geschlossen, der Priester verurteilt. Warum also nachlegen?

Ein knochentrockener Job

Regisseur McCarthy zeigt ganz unspektakulär den knochentrockenen Job des Recherchierens. Im Hintergrund schwingt stets mit, dass Medien ein Vertrauensproblem haben. Wenn Reporterin Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams) sich mit einem Sprecher der Missbrauchsopfergruppe trifft und sagt: "Ich bin hier, weil ich die Sache ernst nehme", dann hat der natürlich im Hinterkopf, dass genau diese Zeitung früher Informationen unter den Tisch kehrte. Auch Opferanwalt Mitchell Garabedian (Stanley Tucci) ist einem Reporter gegenüber skeptisch. Journalisten müsse man nicht bedingungslos vertrauen, deren Job hängt ja von der Nachrichtenselektion ab. Wer wird in Boston der katholischen Kirche auf die Füße steigen, wo doch jeder mit jedem verbandelt ist? Natürlich braucht es viele Anläufe, Abstecher in Sackgassen, Zufälle, bis greifbare Ergebnisse auf dem Schreibtisch liegen. Es lichten sich die Nebel. Der verurteilte pädophile Priester war kein schwarzes Schaf, sondern Mitglied einer Herde, die aus Dutzenden Missetätern bestand.

Einer von ihnen, seit Jahren in Pension, sagt zwischen Tür und Angel zur Reporterin, er habe kein schlechtes Gewissen, die Buben hätten sich doch nie gewehrt: "Das waren keine Vergewaltigungen. Ich kann das beurteilen, ich wurde als Kind vergewaltigt." Als erstaunlichstes Resultat der Ermittlungen kristallisiert sich heraus, wie leicht es der Kirche über Jahrzehnte gemacht wurde, den Missbrauchsskandal zu vertuschen. Weil zu viele geschwiegen hatten und es für viele Kirchenmitglieder denkunmöglich war, Priester solcher Schandtaten für fähig zu halten.

Das reale Spotlight-Team des "Boston Globe" erhielt für seine Enthüllungen 2002 übrigens den Pulitzerpreis. Unter dem Strich bleibt auch nach dem "Oscar": Jede freie Gesellschaft braucht starke (und furchtlose) Medien.