Zum 88. Mal ist es heute Nacht so weit: Im Dolby Theatre in Los Angeles werden die Oscars für das Jahr 2015 verliehen. Zum zweiten Mal (nach 2005) ist es der farbige Schauspieler Chris Rock, der die Zuschauer als Moderator mit seinen Branchenwitzen und -anspielungen unterhalten wird. Vorauszusagen, wer gewinnen wird, war heuer schwieriger als in den vergangenen Jahren. Zwar gelten die Golden Globes meist als Leitfaden für die Academy Awards, doch die Erfahrung lehrt, dass alles auch anders kommen kann. Dass diesmal keine farbigen Schauspieler als Preiskandidaten nominiert sind, führte in den USA zu einigen Diskussionen und Protesten. Man muss allerdings sagen: Eigentlich hat sich diesmal auch keiner von ihnen zwingend aufgedrängt.
Auch Österreich darf hoffen
Immerhin darf man auch für Österreich die Daumen drücken. Denn auf dem Kurzfilmsektor geht „Alles wird gut“, gefertigt vom deutschen Michael-Haneke-Schüler Patrick Vollrath, gar nicht so chancenlos ins Rennen. Immerhin hat er für seinen Streifen bereits den Student Academy Award, auch „Studentenoscar“ genannt, kassiert. Und falls Charles Randolph (gemeinsam mit Adam McKay) für das beste adaptierte Drehbuch (zu „The Big Short“) ausgezeichnet wird, trifft es zumindest einen, der längere Zeit in Österreich gelebt hat.
Die Favoriten von Luigi-Heinrich im Überblick:
BESTE HAUPTDARSTELLERIN: BRIE LARSON
Eine Zeit lang galt Cate Blanchett als Favoritin, mittlerweile hat sich das Blatt gewendet. Für ihre Leistung in „Raum“ gewann Brie nicht nur den Golden Globe, sondern danach auch den Screen Actors Guild Award. Die Schauspielerin ist auch Filmemacherin, Sängerin und Songschreiberin. Die Geschichte von „Raum“ könnte dem österreichischen Fall Fritzl nachempfunden sein. Geheimtipp: die großartige Charlotte Rampling in „45 Years“! Dafür hat sie schon 2014 den Schauspielerpreis bei der Berlinale erhalten.
BESTE NEBENROLLE, WEIBLICH: ALICIA VIKANDER
Die junge Schwedin hat in den letzten zwei
Jahren berauschende internationale Karriere gemacht, dreht faktisch einen Film nach dem anderen. Der Oscar für „The Danish Girl“ (da spielt sie, nach einer wahren Begebenheit, eine junge Frau, die ihren Ehemann bei seiner Geschlechtsumwandlung tapfer unterstützt) würde ihren bisherigen „Lauf“ toppen. Den Golden Globe (da war sie 27jährige junge Dame aus Göteborg auch noch für „Ex Machina“ nominiert) hat ihr zuletzt Kate Winslet (für „Steve Jobs“) weggeschnappt. Läuft es diesmal umgekehrt? Geheimtipp: Na
wenn schon, denn schon, und gar nicht so geheim, besagte Kate Winslet.
BESTER HAUPTDARSTELLER: LEONARDO DICAPRIO
Ja, ja, der gute alte „Leo“. Schon vier Mal war er für einen Schauspieler-Oscar nominiert, und jedes Mal ging er leer aus. Siegt er diesmal für „The Revenant“, so wäre das gerecht, denn selten hat man von ihm eine so eindringliche Leistung gesehen. Demnächst möchte er übrigens, hört man, den amerikanischen VW-Skandal auf die Leinwand bringen. Geheimtipp: Alle anderen Nominierten, wiewohl ebenfalls fabelhafte Schauspieler, werden heuer voraussichtlich an Mister DiCaprio „zerschellen“.
BESTE NEBENROLLE, MÄNNLICH: MARK RYLANCE
Vielleicht ein verwegener Tipp, aber der auch als Shakespeare-Bühnenschauspieler hochgeschätzte Brite, der mit seinen Eltern 1962 in die USA ging, bietet als russischer Spion Rudolf Abel
in Steven Spielbergs „Bridge Of Spies“ eine großartige, subtile Charakterstudie, die nicht so schnell aus dem Kopf geht. 2010 war Rylance hinter Judi Dench und Maggie Smith in England auf Platz drei der „besten britischen Theaterschauspieler aller Zeiten“ gewählt worden. Geheimtipp: Da muss man nicht drei Mal raten. Sylvester „Sly“ Stallone für „Creed“. Das wäre
sicher eine tiefe Verbeugung vor einem Mann, der die Hollywood- Geschichte über Jahrzehnte wesentlich mitgeprägt hat.
BESTER FILM: THE REVENANT
Lange Zeit hat der schlaue Miramax-Produzent Harvey Weinstein seine Werbe-Klaviatur für die lesbische Love Story „Carol“ strapaziert und sogar seine Hauptdarstellerinnen Carol Blanchett und Rooney Mara „aufgeteilt“ (zweitere musste in die Katagorie „beste Nebenrolle“ ausweichen). Es scheint jedoch, als ob das P.R.-Spiel diesmal nicht funktionieren würde. Immer mehr hat sich das Rache-Drama „The Revenant“ in den Vordergrund gedrängt. Ein toller, spannender Film. Geheimtipp: „Spotlight“ über die Aufdeckung von Kinder-Missbrauchsfällen in der katholischen
Kirche der USA.
BESTE REGIE: ALEJANDRO G. INÁRRITU
Wer den besten Film gemacht hat, müsste auch
der beste Regisseur sein. Mag man denken. Doch das war wiederholt nicht der Fall. Heuer sollte es klappen, denn Alejandro G. Inarritu ist mit „The Revenant“ ein Action-Film mit ganz starker eigener Handschrift gelungen. Er ist übrigens der erste mexikanische Regisseur, der für den Oscar nominiert wurde, für „Birdman“ gewann er gleich drei Trophäen (auch bester Film, bestes Originaldrehbuch). Mit „Amores Perros“ war er zum ersten Mal international aufgefallen. Geheimtipp: Tom McCarthy für „Spotlight“. Der Regisseur ist außerdem Schauspieler und Autor, könnte diesmal auch für sein „Spotlight“-Drehbuch gewinnen.
BESTER FREMDSPRACHIGER FILM: SON OF SAUL
Gleich mit seinem Erstlingswerk hat der ungarische Regisseur László Nemes voll zugeschlagen, kürzlich den Golden Globe gewonnen und ist nun wohl
auch im Oscar-Rennen Favorit. Nemes zeigt hier eine neue und sehr intime Perspektive auf den Holocaust. Als Mitglied eines „Sonderkommandos“ in Auschwitz glaubt Saul, in einem toten Burschen seinen eigenen Sohn zu erkennen, und dem möchte er ein würdiges Begräbnis ermöglichen. Ab 18. März auch bei uns im Kino. Geheimtipp: „Mustang“, beeindruckender Film von Denise Gamze Ergüven über das Schicksal von fünf türkischen Waisenmädchen.