Man stelle sich einmal folgende Szene vor: Angenommen, jemand würde sich an die Verfilmung der Geschichte dieser berühmten Großfamiliewagen und die Hörbiger-Saga ginge als glamourös grantelndes TV-Projekt in noblem Burgtheaterdeutsch in Serie: Der Regisseur oder die Regisseurin hätte ein Problem. Warum? Wen aus der Schauspielerdynastie könnte man zur Nebenrolle degradieren? Und hätten es sich nicht alle Familienmitglieder verdient, darin die tragende Figur zu mimen?

Die Dynastie

Fiktion beiseite. Wagen wir eine lexikale Annäherung. Dynastie, die: Der Duden beschreibt diese als eine auf einem bestimmten Gebiet hervorragende, Einfluss ausübende Familie. Klingt, als hätte man bei der Formulierung an das große, deutschsprachige Schauspielgeschlecht gedacht, das getrost als Inkarnation österreichischer Theater- und Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden kann.

Über eine fiktionale filmische Familienaufstellung sagt Cornelius Obonya(Sohn von Elisabeth Orth und wie einst sein Großvater Attila derzeit Jedermann-Darsteller bei den Salzburger Festspielen) zur Kleinen Zeitung: "Da darf keiner von uns mehr am Leben sein. Das traut sich ja keiner! Wer soll uns denn auch spielen?"

Der Stammbaum

Wer ihren Stammbaum (siehe Grafik oben) studiert, erkennt: Der Erfolg ist seit Jahrzehnten ungebrochen, so als ob sich Talent, Disziplin und Leidenschaft genetisch einfach so ohne Widerstände fortpflanzen würden.

Auch wenn Paula Wesselys Tante Josephine - sie starb im Alter von 27 - schon in zarten Jahren ein Star am Burgtheater war, startet das entscheidende Kapitel der Hörbiger-Dynastie mit dem Dreiergespann der Brüder Paul und Attila Hörbiger und dessen zweiter Ehefrau Paula Wessely.

Zum Bühnenmonument geadelt

Drei Menschen, die sich zum Bühnenmonument geadelt haben, jeder auf seine spezielle Art. Paul, der komödiantische Volkscharakter, der auf die Rollen des gemütlichen Wieners gebucht war. Paula Wessely, deren Frisuren und Kleider seit ihrer ersten Filmrolle in "Maskerade" aus dem Jahr 1934 kopiert wurden, und ihr Mann Attila, den Max Reinhardt immer wieder als "den besten Jedermann" bezeichnete.

© ORF

Der Hörbiger, der, weil er die Wessely 1926 am Prager Nationaltheater traf, einen damals schwierigen Instanzenweg antrat, um sich von seiner ersten Frau scheiden zu lassen.

Wer bis zu den 1960ern an "die Hörbigers" dachte, meinte diese Generation. 30 Jahre später war das bereits anders. Ein Schwesterntrio hatte Theater, Film und Fernsehen - zunächst gegen den Widerstand der Eltern - erobert. Christiane (77) und Maresa Hörbiger (70) sowie Elisabeth Orth (79) bastelten, getrennt voneinander und mitunter weit weg und unbeobachtet von den Eltern, an ihren Karrieren.

Die nächste Generation


Ihre Söhne Cornelius Obonya (46), Manuel Witting (38) und Sascha Bigler (47) haben es ihren Eltern ebenso nachgemacht wie auf der deutschen Seite des Clans Christian Tramitz (60) oder Burgtheatermimin Mavie Hörbiger (36). Und mit Paul Sedlmeir (34), dem Urenkel von Paul Hörbiger, hat bereits die vierte Generation das Erbe angetreten. Stoff für eine Endlos-Schauspiel-Soap-Opera existiert also.

ORF III würdigt die Dynastie zu den Weihnachtsfeiertagen mit einem TV-Schwerpunkt. ORF-Chef Alexander Wrabetz setzt, societywirksam, auf eine royale Inszenierung: "Was die Windsors für die Briten sind, das ist die Schauspieldynastie Hörbiger für die Kulturnation Österreich." Herzstück ist eine neue dreiteilige Dokutrilogie, "Die Hörbigers" (ab heute: ORF III, 20.15 Uhr), von Christian Reichhold. Er hat bis auf Sascha Bigler - er lehnte ab - alle lebenden Mitglieder interviewt und Zugang zu unveröffentlichten Videoaufnahmen erhalten. Das Bild, das er zeichnet, ist sentimental, aber auch ehrlich und wohltuend abgrenzend gegenüber Familienaltlasten.

Licht und Schatten


Es ist ein öffentliches Erinnern. Ein Besinnen an die Künstlerfamilie. An Triumphe, grandiose Bühnenmomente, glamouröse Auftritte, saftige Intrigen, kindliche Erinnernungen. Die Doku kämpft aber auch gegen den dichten Schleier des privaten und öf

fentlichen Verdrängens, der sich seit 1941 über die Familie gelegt hat und besonders die zur göttlichen Schauspielerin und Übermutter der Nation geadelte Paula Wessely zeitlebens verfolgt hat. 1941 spielte sie gemeinsam mit ihrem Mann Attila Hörbiger im Nazi-Propagandafilm "Heimkehr" eine von Polen unterdrückte Deutsche. Darin sagte sie diesen fatalen Satz in die Kamera, der sie nicht mehr loslassen sollte und der wie ein Schatten auch ihre Töchter verfolgt: "Sie wissen ja, wir kaufen nicht bei Juden."

Schweigen


Dazu kommt eine doppelt teuflische Ästhetik eines Konzentrationslagers, in dem die Deutschen als Opfer dargestellt werden. ",Heimkehr' war ein, muss man leider sagen, hervorragend gemachter Film und sie war hervorragend darin. Das ist es ja! Das ist es ja!", sagt Elisabeth Orth in der neuen Dokumentation. Jahrzehntelang schwieg Paula Wessely, die mit ihrem Mann viele Filme im Nazireich drehte, wie andere auch, zum Regime.

Öffentliche Bekenntnisse zum Beispiel bei Hugo Portisch lehnte sie mehrfach ab. "Heimkehr" wurde ihr zum Verhängnis: beruflich wie privat. Sie litt an Depressionen, einmal attackierte sie sogar ihre Tochter Maresa mit einem Messer. Auch solche dunklen Momente spart die neue Dokumentation nicht aus.

Familienaufstellung mit ORF-Beteiligung: Die Hörbigers
Familienaufstellung mit ORF-Beteiligung: Die Hörbigers © ORF

"Attila Hörbiger wurde die Teilnahme an diesem Film nicht in dem Maß vorgeworfen wie Paula Wessely", erklärt Kurt Ifkovits, Kurator im Theatermuseum Wien. Noch heute erklärt Elisabeth Orth: "Ich hätte ihr eine offene Auseinandersetzung damit gewünscht." Für sie - aber auch für ihre Nachkommen.

Späte Lebensbeichte


Erst 1971 meldete sich Paula Wessely in einem Schreiben zu Wort: "Ich wünschte, ich hätte in diesem Film nicht mitgewirkt." Interviews oder TV-Auftritte lehnte sie weiter ab. Erst Ende der Siebzigerjahre legte sie bei André Heller spätnachts eine Lebensbeichte ab. "Sie hat gesagt: Ich habe keine Ausreden, ich weiß genau, was ich getan habe. Ich habe nach dem Krieg so sehr dafür gebüßt, wie ein Mensch dafür büßen kann. Das Nachdenken hat mich an den Rand des Wahnsinns gebracht", sagt Heller in der Dokumentation. Über das Ehepaar Wessely/Hörbiger war nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein Berufsverbot verhängt worden, später waren die Burgtheater-Mimen noch von einem Israel-Gastspiel ausgeschlossen. Dann schwieg auch das Nachkriegsösterreich. Bis die Autorin Elfriede Jelinek in ihrem satirischen Stück "Burgtheater" das Schweigen durchbrochen hat. Sie zeichnet darin den bruchlosen Übergang vom Nazireich ins Nachkriegsösterreich von Paul und Attila Hörbiger sowie Paula Wessely.

Paul Hörbiger unterstützte während der NS-Zeit Widerstandskämpfer finanziell und wurde, als man das entdeckte, zum Tod verurteilt. Das Kriegsende kam seiner Hinrichtung zuvor. Konsequenz: Seine Nachfahren konnten daher - anders als die der Wiener Linie des Clans - unbelastet groß werden. "Wie seid ihr damit umgegangen? Diese Frage darf man als Nachkomme stellen", sagt Cornelius Obonya. Und: "Wir als Nachgeborene in Europa haben eine ungeheure Chance, damit diese Ausgrenzung nicht noch einmal passiert."

Über die Beziehung zur Mutter

In der Doku erzählen die drei Schwestern auch ehrlich von der innigen Beziehung zu ihrem Vater, ihrem schwierigen Verhältnis zur perfektionistischen Mutter. Christiane Hörbiger stand einmal gemeinsam mit ihr auf der Bühne - und als die Mutter befand, die Tochter übertrumpfe sie, ließ Wessely ihr von der Requisite die Sesselbeine kürzen. Oder: "Die Mutter hat uns gegenseitig ausgespielt - das haben wir erst so richtig nach ihrem Tod gemerkt", erinnert sich Maresa Hörbiger. Eine Erkenntnis, die die Bande der Töchter untereinander gestärkt hat. "Ich weiß eigentlich viel zu wenig von meinen Schwestern", sagt Christiane Hörbiger. Wenn das nicht noch mächtig Stoff für eine Hörbiger-Saga bietet. Und: Auf einen unbegabten Mimen inmitten der Schauspielerdynastie hat man sich auch geeinigt: auf Thommy Hörbiger, Sohn von Paul Hörbiger. Aber auch zu ihm passt die Nebenrolle nicht. Schließlich textete er für Udo Jürgens den Hit "Merci, Cherie". Aber das ist eine andere Familiengeschichte.