Worin diese Aufklärung bestehe, sei für ihn klar: "An erster Stelle steht die Etablierung von humanistischen Idealen - die sollen über der Politik oder Religion stehen." Deshalb sei es sehr wichtig, diese Form des Kinos für junge Menschen weiterhin zugänglich zu halten, was auch ein Teil der Aufklärungsarbeit sei, die er meine, so Sokurow, der für seine monumentalen, historischen Epen wie den ohne Schnitt gedrehten "Russian Ark" (2002) oder "Faust" (2007) bekannt ist. Diesen Ansatz bedrohe der Kommerz jedoch.
"Es gibt Filmware und Kinokunst - und diese beiden Dinge kann man nicht vergleichen", unterstrich Sokurow. Dennoch seien heute 98 Prozent der Lichtspielhäuser keine Kinotheater, sondern Kinomarktplätze, in denen Ware verkauft werde. "Diese Ware ist verantwortungslos - sie trägt keine Verantwortung vor der Gesellschaft, der Geschichte oder der Zukunft. Sie hat nur den Banken gegenüber Verantwortung. Diese Filmware ist gefährlich. Kommerzielles Kino verwandelt den Menschen."
Deshalb sei die Situation im Wettstreit zwischen Kinokunst und Kommerzware dramatisch, mahnte der Filmemacher: "Es gibt keinen Frieden in der Kulturwelt mehr - es herrscht Krieg. Man kämpft um den Menschen - das Blut mag farblos sein, doch sie wird geschlagen. Für mich ist wichtig, dass die Leute das verstehen. Deshalb sollte jeder, der solche Kinos betritt, eine Warnung bekommen: 'Sie betreten nun einen Filmmarkt. Was Sie jetzt sehen werden, hat nichts mit der Erziehung zu moralischen Werten zu tun'", forderte Sokurow: "Schließlich hat ja auch jeder Raucher auf der Packung einen Warnhinweis."
Nikolai Borodachew, als Leiter des Gosfilmofond Russlands, des staatlichen Filmarchivs in Moskau, verantwortlich für die weltweit abgehaltenen Filmtage, rühmte indes die österreichisch-russische Freundschaft und lobte Österreich für den sorgsamen Umgang mit den sowjetischen Kriegsdenkmälern. Die stets erhobenen Vorwürfe gegen die Sowjetunion könne er in diesem Zusammenhang nicht stehen lassen: "Wie konnte es dazu kommen, dass in einem angeblich autoritären Staat wie es die Sowjetunion gewesen sein soll, 20 Regisseure von Weltklasse gelebt haben?"
Die Qualität sei jedenfalls unbestritten: "Meine persönliche Meinung ist, dass das sowjetische Kino zu den besten Kinokulturen der Welt gehörte." Es sei nicht um Konsum, sondern um moralische Erziehung gegangen. Man arbeite nun an einem eigenen Filmfestival in Nizza, wo man ab 2016 Werke zeigen wolle, die von den anderen großen Festivals abgelehnt wurden. Es sei schließlich kein Geheimnis, dass viele Regisseure deshalb Filme zu bestimmten politischen Themen gleichsam als Auftragswerke machten, weil ihnen Preise versprochen würden: "Das sehen wir sehr ungern."
Auch bei der heurigen Filmtage-Ausgabe in Wien werden nicht nur historische Werke, sondern auch das jüngste Schaffen des russischen Kinos gezeigt. Zusätzlich ist ein Konzertabend im Kulturinstitut mit Eugen Doga am Samstag geplant. Der "Volkskünstler der UdSSR" hat auch als Filmkomponist zahlreiche Erfahrungen gesammelt. "Ich betrachte mich als internationalen Künstler. Ich hasse, von jemandem vereinnahmt zu werden", stellte er am Freitag klar. Zugleich zielt Doga auf mehr als den kleinen Konzertsaal im Kulturinstitut: "Ich würde mein Werk 'Liebesdialoge' natürlich sehr gerne in der Wiener Staatsoper sehen."
Beim Filmprogramm wird indes Alexander Sokurow nicht der einzige Regisseur sein, der sein Werk persönlich vorstellt. Wladimir Tumaew präsentiert sein Tundradrama "Weißes Moos", das den jungen Aljoschka im Konflikt zwischen den Traditionen seines Volkes und seiner Liebe zeigt. "Ich bin vor allem vom Stephansdom sehr beeindruckt", lobte der Filmemacher bei seinem ersten Wien-Besuch die Donaumetropole. Sergej Nikonenko hingegen wird seine Altersparabel "Lust aufs Leben" einleiten. Ansonsten finden sich bei den bis einschließlich Montag dauernden Filmtagen mit dem politischen Historienstreifen "Stern in der Nacht" von 1972 und Alesej Germans Kriegsdrama "Zwanzig Tage ohne Krieg" aus 1976 zwei Klassiker des so hoch gelobten Sowjetkinos im Programm.