Herr Bechtolf, die Salzburger Festspiele spielen 2016 "Endspiel" - aber wenn es dabei Musik gibt, wird sie vermutlich nicht von György Kurtag sein. Hatten Sie in Ihrer ursprünglichen Planung ein "Endspiel" Doppel aus Oper und Schauspiel?

SVEN-ERIC BECHTOLF: Ja, das hatte ich mir eigentlich so gedacht. Aber weil das "Endspiel" ein so großartiges Stück ist und sich natürlich wunderbar mit unserem geheimen Motto verbindet, habe ich gesagt: Ich mache das in jedem Fall. Das "Endspiel" von Beckett kann auch gut für sich selber stehen. Wenn Kurtag mit seiner Oper nicht fertig wird, ist das zwar ein Verlust, aber ihn kann und soll man nicht drängen. Er ist bei guter Gesundheit, arbeitet und ist auch schon sehr weit - aber er sagt Gott sei Dank rechtzeitig, wenn er nicht fertig wird. Man muss akzeptieren, dass er etwas, von dem er vielleicht annimmt, dass es sein letztes große Werk sein könnte, nur so aus der Hand geben will, wie er es sich wünscht.

Die Oper, mit der die Salzburger Festspiele 2016 beginnen, wirkt ganz und gar nicht wie ein Lückenbüßer. Wie kommt es, dass man eine Ades-Uraufführung aus dem Hut zaubern konnte?

BECHTOLF: Wir hätten wahrscheinlich beides gemacht. Ades hat schon eine längere Geschichte mit den Festspielen, die mit Alexander Pereira beginnt, und wir wussten nur noch nicht, wann genau wir das machen können. So ein großes, aufwendiges Stück ist nur möglich, wenn man es koproduziert - in diesem Fall mit Covent Garden, mit der Metropolitan Opera und mit der Oper in Kopenhagen. Das zeigt, wie groß das internationale Interesse an Thomas Ades ist.

Das inoffizielle Festspiel-Motto "Träume" ist ein ambivalentes.

BECHTOLF: Wir stellen sozusagen zwei Sätze gegeneinander. Einmal den Satz von Prospero aus Shakespeares Sturm: "Wir sind aus jenem Stoff gemacht, aus dem die Träume sind, und unser kleines Leben liegt im Schlaf" - was ja ein finsterer Befund ist, wenn man genauer darüber nachdenkt. Dem haben wir einen Satz von Novalis gegenübergestellt: "Wir sind im Begriff zu erwachen, wenn wir träumen, dass wir träumen." Natürlich ist es eine häufige Methode der Kunst, vorsätzlich Träume zu träumen, in denen sich Dinge abbilden, die man unter realistischen Maßgaben nicht abbilden könnte. Mit diesem Spannungsverhältnis gehen die verschiedenen Produktionen, die wir programmiert haben, um.

Auch in Salzburg kann man gegenwärtig ein Spannungsverhältnis erleben: eine Postkartenlandschaft in wunderbarem Herbstwetter und verzweifelte Flüchtlinge in der Bahnhofsgarage. Wie erleben Sie die Stadt in diesen Wochen?

BECHTOLF: Ich erlebe das nicht nur in Salzburg, sondern eigentlich überall. Ich bin wie wahrscheinlich die meisten Menschen ratlos und finde, dass wir nicht sehr gut darüber informiert werden, auf was wir uns einzurichten und wie wir damit umzugehen haben. Das sind keine Vorkommnisse, auf die man schnelle Antworten hat. Das hat eine historische Dimension. Vielleicht passt der Prospero-Satz ganz gut darauf. Wir sind zerrissen zwischen dem zu Recht bestehenden Anspruch auf eine humane Gesellschaft, die zu dem Menschenrecht auf Asyl steht, und auf der anderen Seite sehen wir uns mit unseren Grenzen konfrontiert und mit Fragen einer längerfristigen Perspektive. Die Probleme beginnen aber nicht erst hier, sondern in den Ländern, aus denen diese Menschen kommen. Wir haben da sehr lange weggeguckt, wir alle, nicht nur die Politiker. Ich glaube, dass überall Paradigmenwechsel nötig sind in den Köpfen - und das ist ein langfristiger, schwieriger Prozess.

Sie gelten als Vielarbeiter. Heuer haben Sie sich zur Wiederaufnahme des Da-Ponte-Zyklus auch in "Der Ignorant und der Wahnsinnige" besetzen lassen.

BECHTOLF: Man muss sagen, dass ich heuer ein bisschen entlastet bin, weil ich keine neue Saison vorzubereiten habe. Das merke ich ganz deutlich. Ich lerne jetzt schon den Text. Im Frühjahr gibt es dann fünf Wochen Vorproben. Dann gehen wir in die Wiederaufnahmeproben hinein, bei "Don Giovanni" und "Figaro" ist das überschaubar, mehr Arbeit wartet bei der "Cosi". Erst in der zweiten Hälfte des Sommers gehe ich ins Landestheater um zu spielen. Es ist also machbar. Ich laste mir nichts auf, was mich umbringen würde.

Sie haben heute das letzte künstlerische Programm unter Ihrer Verantwortung vorgestellt. Überwiegt schon die Wehmut, dass es das dann gewesen sein wird, oder die Freude auf das, was es noch sein wird?

BECHTOLF: Ich glaube, es ist eine Mischung. Ich bin nicht so ein sentimentaler Mensch, aber natürlich wächst man mit so einem Betrieb zusammen. Wenn man das loslässt, ist es einerseits natürlich eine Entlastung, andererseits aber auch ganz merkwürdig: Oh, vorbei! Fünf Jahre sind wie ein Pfeil vorbeigeflogen. So ist das ein lachendes und ein weinendes Auge.

Wie sieht Ihre künstlerische Lebensplanung für die nächsten Jahre aus?

BECHTOLF (lacht): Die habe ich nicht. Ich habe ein paar Angebote, von denen ich das eine und das andere annehmen werde. Ich werde wahrscheinlich spielen und inszenieren und hoffentlich ein bisschen schreiben.

Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA