Mit welchen Gefühlen kehren Sie nach fast neun Jahren in den Grazer Stephaniensaal zurück, in dem Sie als Chefdirigent der Grazer Philharmoniker viele Erfolge gefeiert haben?


PHILIPPE JORDAN: Es freut mich sehr, denn der Stephaniensaal ist ein wunderbarer Konzertsaal, in dem ich viele schöne Erlebnisse gehabt habe. Und für unser spezielles Programm einer Schubertiade hat er die ideale Größe und die perfekte Akustik.


Warum widmen Sie Franz Schubert einen Schwerpunkt in Ihrer ersten Saison als Chefdirigent der Wiener Symphoniker?


JORDAN: Weil die Wiener Klassik bei den Wiener Symphonikern eine immer kleinere Rolle spielt. Sie wird immer mehr den Barock- und Kammerorchestern überlassen. Deshalb wird die Selbstverständlichkeit, mit diesem Repertoire umzugehen, immer seltener. Neben der zeitgenössischen Musik, die bei den Wiener Symphonikern auch deutlich fehlt, war mir die Wiener Klassik ein besonderes Anliegen. Im ersten Jahr wollte ich den Weg über Schubert einschlagen, der doch der wienerischste aller Klassiker ist.


Können Sie das Wienerische bei Schubert definieren?


JORDAN: Schubert hat einfach diesen Ton. Er ist natürlich sehr beeinflusst von den Komponisten um ihn herum, von Haydn, Mozart, Beethoven und Rossini, aber er bleibt doch er selber. Er hat den deutlichsten Hang zur Unterhaltungs- und Gebrauchsmusik und hat nicht den Anspruch, für das Konzertpodium etwas Monumentales zu schaffen. Es bleibt die charmante, intime und sehr persönliche Note.


Wie muss man Schuberts Symphonien interpretieren?


JORDAN: Schubert braucht eine gewisse Präzision und auch eine gewisse Leichtigkeit, die vielleicht mit anderen Orchestern leichter zu realisieren ist, aber die Wiener Symphoniker sprechen das klangliche Idiom, verstehen diese Musik und können sie in einer Art und Weise färben, die man mit keinem anderen Orchester schaffen kann.


Muss man Schubert heute anders spielen als zu den Zeiten von Wilhelm Furtwängler?


JORDAN: Auf jeden Fall. Schubert hatte immer den Nachteil, dass er als kleiner Bruder von Beethoven galt und man ihn immer an Beethoven gemessen hat – und da konnte er nur verlieren. Das war wohl auch ein Grund, warum er nur selten gespielt wurde. In den letzten zwanzig, dreißig Jahren hat sich in der historischen Aufführungspraxis viel getan, Schubert nicht mit großem Orchester zu spielen und auch nicht mehr pastos, sondern feiner, eleganter, elastischer, fließender, schneller.


Das Hauptstück Ihres Konzerts in Graz ist die dritte Symphonie von Franz Schubert. Ist das schon ein vollgültiges Werk?


JORDAN: Auf jeden Fall. Man sagt zwar immer, die ersten vier Symphonien seien noch Jugendwerke. Spätestens die dritte Symphonie aber ist ein vollgültiges Werk und ein Stück, in dem Schubert deutlich Farbe bekennt.


Den Großteil der Schubert-Lieder, die Matthias Goerne singen wird, hat der Pianist Alexander Schmalcz orchestriert. Wie ist seine Instrumentation?


JORDAN: Sie ist relativ kammermusikalisch angelegt. Diese Bearbeitungen, die zum ersten Mal gespielt werden, sind auf Wunsch von Herrn Goerne entstanden.


Wo sollen die Wiener Symphoniker am Ende Ihrer ersten Fünf-Jahres-Periode als Chefdirigent stehen?


JORDAN: Mein großer Wunsch ist, ihnen wieder ein kräftigeres Profil zu verleihen. Sie haben zwar einen unverwechselbaren Klang, aber mein Anliegen ist es, ihn deutlicher zu formulieren.


Nach Ihrem Abschied von Graz haben Sie bei sehr vielen großen Orchestern gastiert. Warum konzentrieren Sie sich jetzt auf die Wiener Symphoniker und das Orchester der Pariser Oper, deren Musikdirektor Sie seit 2009 sind?


JORDAN: Es ist kein Zufall, dass ich mit diesen beiden Orchestern gleichzeitig arbeite. Ich habe beide 2004 im Abstand von zwei Monaten kennengelernt. Bei allen Unterschieden verbindet sie der Hang zur Durchsichtigkeit. In Paris verbringe ich mit allen Proben und Aufführungen sieben Monate im Jahr, bei den Symphonikern zehn bis zwölf Wochen. Da bleibt nicht mehr viel Zeit für andere Orchester. Es war für mich sehr wichtig und lehrreich, jahrelang bei vielen Orchestern zu gastieren, aber letztlich sind mir langjährige Beziehungen mit mehr Verantwortung wichtiger und befriedigender. Und ab 2017 dirigiere ich ja bei den Bayreuther Festspielen Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“.


Die nicht für den verdeckten Orchestergraben des Bayreuther Festspielhauses komponiert worden sind.


JORDAN: Es ist fast unmöglich, die „Meistersinger“ mit ihrer Kontrapunktik und Leichtigkeit in Bayreuth zu realisieren. Das ist eine Herausforderung, der ich mich natürlich gerne stelle. Ich habe in Bayreuth 2012 mit dem für den mystischen Graben konzipierten „Parsifal“ begonnen und komme jetzt vom leichtesten zum schwersten Stück.


Ihre erste CD mit den Wiener Symphonikern galt Peter Iljitsch Tschaikowskis „Pathétique“. Wie geht es weiter?


JORDAN: Es folgt eine Schubert-CD. Die „Unvollendete“ haben wir schon aufgenommen, nach dem Grazer Konzert spielen wir die große C-Dur-Sinfonie ein. Die Aufnahme soll im März herauskommen. Geplant ist, jedes Jahr eine CD zu veröffentlichen.


Was nehmen Sie mit dem Orchester der Pariser Oper auf?


JORDAN: Am Ende der Spielzeit erscheint bei Erato eine Gesamteinspielung des Balletts „Daphnis et Chloé“ von Maurice Ravel in Kombination mit „La Valse“.

INTERVIEW: ERNST NAREDI-RAINER


Philippe Jordan dirigiert die Wiener Symphoniker (Solist: Matthias Goerne, Bariton). 7. April, 19.30 Uhr, Stephaniensaal, Graz.
Karten: Tel. (0 31 6) 82 24 55.