Intensiver als die beiden staatlichen bemüht sich das städtische Wiener Opernhaus um das zeitgenössische Schaffen. Das Theater an der Wien wird im März die heuer aus der Taufe gehobenen „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von HK Gruber spielen und zeigt jetzt die „American Lulu“ von Olga Neuwirth als Gastspiel der Komischen Oper Berlin, die das Werk in Auftrag gegeben und im September 2012 uraufgeführt hat.

Die steirische Komponistin hat Alban Bergs unvollendete Oper „Lulu“ radikal bearbeitet und einen völlig neuen dritten Akt geschaffen, um die Geschichte der von Frank Wedekind in die Bühnenwelt gesetzten Lulu aus weiblicher Perspektive zu erzählen.

Um Sympathien für ihre Titelheldin, die ihre Heimat und ihre Hautfarbe gewechselt hat, wirbt sie dabei nicht. Ihre „American Lulu“, deren Österreichpremiere die Bregenzer Festspiele 2013 ausgerichtet hatten, ist eine gefühllose, kalte und narzisstische Frau, nur daran interessiert, ihren Willen durchzusetzen und Reichtum anzuhäufen.

Bürgerrechtsbewegung

Olga Neuwirth, die auch den Text für den neuen dritten Akt geschrieben hat, lässt ihre Oper, deren Figuren andere Namen tragen, in den Vereinigten Staaten vor dem Hintergrund der schwarzen Bürgerrechtsbewegung spielen: Ausschnitte aus Reden von Martin Luther King ertönen während der Umbaupausen.

Die Anfangsszene zeigt Lulu als gealterte, reich gewordene Nobelhure im New York der 70er Jahre. Sie erinnert sich an ihre Anfänge im rassistischen weißen Süden der USA. Im New Orleans der fünfziger Jahre spielen als Rückblende die beiden vollendeten Akte von Bergs Oper, die Neuwirth auf die Hälfte verkürzt und für ein Jazzorchester neu instrumentiert hat. Mit Zuspielungen einer Kinoorgel der damaligen Zeit, der wummernden Wonder Morton, und einer Calliope, der durch Dampf betriebenen Pfeifenorgel auf Mississippi-Dampfern, bereichert sie ihr Klangbild.
Die lesbische Gräfin Geschwitz hat Neuwirth in die Bluessängerin Eleanor verwandelt, die sich im dritten Akt von Lulu löst und ihr vorführt, dass man das Schicksal nicht ergeben hinnehmen muss, sondern selbst in die Hand nehmen kann. In der dazu komponierten Musik zeigt die Tochter des Jazzpianisten Harald Neuwirth, dass sie auch diese Stilwelt beherrscht.

Souveräner Dirigent

Am Pult des flexiblen Orchesters der Komischen Oper Berlin waltet souverän der Komponist Johannes Kalitzke, der schon Neuwirths Opern „Bählamms Fest“ bei den Wiener Festwochen 1999 und „Lost Highway“ beim „steirischen herbst“ 2003 aus der Taufe gehoben hat, in denen die Komponistin für ihre Seelentrips einen individuelleren Tonfall angeschlagen hatte.
In Kirill Serebrennikovs solider Inszenierung glänzen Marisol Montalvo als höhensichere Titelheldin und Della Miles als Bluessängerin. Die Tenöre Rolf Romei (Alwa alias Jimmy) und Dimitry Golovnin (der Maler ist jetzt Fotograf) bieten ebenso prägnante Rollengestaltungen wie der herrische Bariton Claudio Otelli als gebieterischer Dr. Schön alias Dr. Bloom.

ERNST NAREDI-RAINER