"Amsterdam", jenes Lied über das muntere Treiben der Seeleute im Hafen mit Suff, Dirnen und Akkordeon, kann heute noch Gänsehaut erzeugen. Den "größten Singer-Songwriter aller Zeiten" nannte der belgische Sänger Arno seinen weltbekannten Landsmann Brel, der viel zu früh, vor mehr als 30 Jahren, an Kehlkopfkrebs starb. Am 8. April wäre der Chansonnier 80 Jahre alt geworden.

Werdegang. Brel wurde 1929 als Sohn einer begüterten Familie im Brüsseler Stadtteil Schaerbeek geboren. Seine Eltern besaßen eine Kartonagenfabrik. Alles deutete darauf hin, dass auch der früh verheiratete Sohn und junge Familienvater ein angesehenes Mitglied der belgischen Bourgeoisie werden würde. Doch die Pappe aus dem elterlichen Betrieb bedeutete Brel deutlich weniger als das Papier, dem er seine ersten Verse anvertraute.

Durchbruch. 1953 nimmt Brel dann all seinen Mut zusammen und eine erste Single mit zwei Liedern auf. Ein großer Erfolg beim Publikum bleibt der Scheibe versagt. Viel wichtiger aber ist, dass der Musikproduzent Jacques Canetti - Bruder von Nobelpreisträger Elias Canetti - die Platte in Paris entdeckt. Nach einigen Aufnahmen beim belgischen Rundfunk wagt Brel deshalb den Sprung an die Seine.

Seine Themen. Der Belgier tritt in Kabaretts und Varieté-Theatern auf, bis er 1957 mit dem Song "Quand on n'a que l'amour" (Wenn man nur die Liebe hat) den Durchbruch schafft. Pariser Liebschaften verdrängen das Brüsseler Familienleben, Liebe und Freundschaft thematisiert Brel in seinen Liedern. Seine Texte sprechen vom Glauben wie vom radikalen Kirchenhass, von einer gewissen Süße des Lebens wie von der offenen Ablehnung bürgerlichen Wohlbehagens.

Starke Gefühle, starke Worte. Wichtiger als die Noten waren dem Dichter Brel die Worte, meinen Fachleute. Seinen Erfolg aber hat er vor allem seiner unglaublichen Präsenz als Sänger zu verdanken. Viele Zuhörer spürten eine Gänsehaut, wenn Brel auf der Bühne stand. Selbst seine Schallplatten lassen auch Laien noch Jahrzehnte nach Brels Tod im Jahr 1978 verstehen, warum der Belgier über den französischen Sprachraum hinaus zu den ganz Großen seiner Zunft aufstieg.

Liebe zur Heimat. Seine Heimat hat Brel dabei nie verleugnet und sogar Vorschläge zur Lösung des Sprachenstreits in Belgien gemacht. "Wenn ich König wäre, würde ich alle Flamen für sechs Monate in die Wallonie schicken und alle Wallonen nach Flandern", zitiert das Belgische Pop- und Rockarchiv den Barden: "Das würde alle ethnischen und sprachlichen Probleme schnell lösen. Denn beide schmerzt Zahnweh gleichermaßen, jeder liebt seine Mutter, jeder mag oder verabscheut Spinat."

Pubblikum. Die Franzosen analysierten den Sänger intellektuell. "Aber die Belgier fühlen ihn. Brel ist jemand, der Muscheln mit Pommes aß und Bier trank. Er gehört zu ihnen, ist einer von ihnen", sagte seine Tochter France Brel einst. Seine Heimatstadt Brüssel hat eine U-Bahn- Station nach Jacques Brel benannt - eine Ehre, die der entlaufene Bürgersohn nur mit zwei anderen Belgiern teilt: dem früheren König Baudouin und der Radsport-Legende Eddy Merckx.