Ans Aufhören denkt er aber nicht. Er arbeitet schon wieder an Projekten, die zu einer "besseren und gerechteren Welt" beitragen sollen, wie der bekennende Kommunist und Freund von Kubas Revolutionsführer Fidel Castro kürzlich bei einem seiner rar gewordenen öffentlichen Auftritte sagte. Heute feiert er seinen 102. Geburtstag.

Im Herbst war Niemeyer zunächst an der Gallenblase operiert worden und dann hatten ihm die Ärzte noch einen Darmtumor entfernt. "Ich war fast einen Monat im Krankenhaus, das war langweilig, das war furchtbar. Aber jetzt ist alles wieder gut", sagte er Ende vorigen Monats in seinem Büro in Rio nach einem Treffen mit Aécio Neves, dem Gouverneur des Bundesstaates Minas Gerais. Dort hat Niemeyer einen neuen, aus fünf Gebäuden bestehenden Verwaltungskomplex für die Regionalregierung entworfen, der Anfang 2010 eingeweiht werden soll. Für Niemeyer zählt nur eins: "Ich bin zurück bei der Arbeit, die ich vermisst habe."

Spuren in Brasilien

Niemeyer hinterließ nicht nur in Brasilien Spuren. In den Jahrzehnten seines Schaffens war ihm seine Heimat nie groß genug. Er entwarf und baute in Italien, Spanien, Frankreich, Israel und vielen Ländern rund um die Erde. Der Mann, der die geschwungenen Kurven liebt und nach Worten des französischen Star-Architekten Le Corbusier die Berge Rios in den Augen hat, wurde am 15. Dezember 1907 als eines von sechs Kindern eines deutschstämmigen Kaufmanns in Rio geboren.

Nach dem Architektur-Studium begann durch die Zusammenarbeit mit seinen Vorbildern Lucio Costa und Le Corbusier der Aufstieg. Nachdem er 1943 mit dem alten Gesundheitsministerium in Rio internationales Renommee erlangte, war er 1947 prägend am Entwurf des UN-Gebäudes in New York am East River beteiligt. Dann folgte Ende der 50er Jahre die Hauptstadt Brasília, die er gemeinsam mit Lucio Costa schuf. In Deutschland baute er ein Wohnhaus für das Hansaviertel in Berlin (1957). Während der Militärdiktatur (1964-1985) wurde Niemeyer in Brasilien verfolgt und mit einem Arbeitsverbot belegt.

Werke

Vor den seinen Werken kommt sich der Betrachter stets klein vor. Ob es die von ihm Ende der 1950er Jahre kreierten Gebäude in der Reißbrett-Hauptstadt Brasília sind oder das von ihm mitgeplante Hauptgebäude der Vereinten Nationen in New York - es stellt sich immer Staunen ein, gepaart mit Ehrfurcht. Stets wird die Konfrontation mit den in Beton gegossenen Gedanken Niemeyers eine Begegnung mit völlig ungewohnten, unerwarteten Formen.

Als "Centenario", als Hundertjähriger, beschrieb er seinen Grundansatz für Architektur einmal so: "Gute Architektur, die, die ich bevorzuge, ist immer Architektur, die sich unterscheidet, die sich nicht wiederholt, und die die Rolle eines Kunstwerkes annimmt. Für mich müssen Kunstwerke überraschen."

Politisch ließ der Architekt mit deutschen Wurzeln nie einen Zweifel daran, wo er steht. Mit Castro verbindet ihn eine lange Freundschaft. Der Kubaner sagte einmal, dass er und Niemeyer wohl die einzigen noch verbliebenen Kommunisten auf diesem Planeten seien. Mit Blick auf die aktuelle Lage in Brasilien, sieht der Vater der brasilianischen Architektur-Moderne keinen Grund zum Pessimismus. "Lula ist Patriot, ein Arbeiter, der auf der Seite des Volkes steht und die Probleme in Lateinamerika versteht", sagt er über Brasiliens Staatspräsidenten Luiz Lula da Silva. Auch wenn er zur Präsidentschaftswahl 2010 nicht mehr antrete, werde Lula großen Einfluss auf die Wahl haben.