Meine Herren, wie verzweifelt muss man als Kabarettist sein, wenn man sich für sein Programm-Plakat auszieht?

LEO LUKAS: Nein, Moment einmal. Das war natürlich anders. Als wir uns zum ersten Mal fürs neue Programm hingesetzt haben, das sich ja um Zahlen dreht, hatten wir die Freude am Wortspiel "Nackte Zahlen" und haben gedacht, da können wir uns ausziehen, damit die Leute nicht glauben es geht da um einen mathematischen Vortrag.

Warum überhaupt Zahlen?

SIMON PICHLER: Naja, ich verstehe nicht, warum im deutschsprachigen Raum so eine Abneigung gegen Zahlen vorherrscht. In Bulgarien landen Sieger der Mathematikolympiade auf den Titelseiten. Bei uns bekommen Politiker, die beichten, sie seien schlecht in Mathe gewesen, Sympathielacher, statt dass jemand Trottel schreit.

LUKAS: Und das alles dient jenen, die mit Zahlen umgehen können.

Wem genau?

LUKAS: Naja, es gibt viele Menschen, die Kredite und Bausparer nebeneinander laufen haben und nicht überreißen, dass ihr Bausparer nicht so viel bringt, wie ihnen der Kredit wegfrisst. Allein wie Leute durch Versicherungen über den Tisch gezogen werden.

Also geht es im Programm um die Macht der Zahlen?

PICHLER: Ja, denn Zahlen sind eine der "Geheimsprachen" der Mächtigen, die breite Masse, die sich lieber nicht auf Zahlen einlässt, sagt, wird schon stimmen, und nimmt alles hin.

Und so schlittern wir in eine Weltwirtschaftskrise und wissen nicht wie uns geschieht. Macht ihr jetzt Kabarett als Lebenshilfe?

LUKAS: Nein, das ist kein Seminarkabarett. Aber wir haben schon in die Tiefe recherchiert und ein Büchlein mit den Quellen zu den Zahlen herausgebracht. Interessant ist etwa, dass man erst ab einem Anlagevermögen von 300.000 Euro etwas verdienen kann, alle anderen, die darunter liegen, zahlen ein. Deshalb stimmt das Gefühl, dass immer alles weniger wird.

Und das Publikum kann euren Zahlen trauen?

LUKAS: Wie wir auch im Buch schreiben, sind 95 Prozent der Aussagen wahr. Nur diese nicht.

Dass das euer erstes Duo seit 25 Jahren ist, stimmt aber, oder?

PICHLER: Ja, ich kann mich noch gut erinnern, als der Leo im Publikum beim Rockkabarett in der ersten Reihe saß, da hat mein Gitarrist gesagt, du, der ist von der Kleinen Zeitung für ein Interview da, red' kurz mit dem.

LUKAS: Und kurz darauf so um 1983/84 sind wir dann gemeinsam unterwegs gewesen, haben in Vorarlberg, dann auf dem Rückweg in Innsbruck und in München gespielt.

Wie war Graz vor 25 Jahren, und ist es heute schon im dritten Jahrtausend gelandet?

LUKAS: Es hat sich schon sehr viel getan inzwischen. Damals haben wir ja aus der Szene selbst - Musiker, wie Christian Muthspiel und Kabarettisten - das Kleinkunstlokal Tingeltangel in der Kernstockgasse ( später: Sprungbrett, Ticktack, Tanzstadl, Anm.) gegründet, weil wir keine Auftrittsmöglichkeiten hatten. Aber dann kam das Theatercafé, der Kulturhauskeller und andere.

Aber viel mehr Locations als das Theatercafé gibt es heute nicht für die Kleinkunst, oder?

PICHLER: Stimmt, eine zweite Kleinkunstbühne setzt sich neben dem Theatercafé nicht durch. Obwohl sich Christoph Thoma als Spielstättenleiter im Orpheum sehr bemüht, Akzente zu setzen. Aber Grazer gehen halt nicht gerne auf die 8020er-Seite.

Warum bleibt man als Kabarettist überhaupt in Graz, wo die Szene doch in Wien zu Hause ist?

PICHLER: Also ich hab' voriges Jahr aufgehört zu sagen, jetzt geh' ich weg von Graz. Für mich war es eigentlich eine gute Lebensmöglichkeit, als meine Kinder klein waren. Da war der Stadtpark wichtig und dass man schnell im Grünen ist. Jetzt mit den neuen Medien, ist es nicht mehr so wichtig, wo man lebt.

LUKAS: Na, na, na. Dann zieh' ich gleich wieder nach Köflach, weil dort ist's noch billiger.

Also war für dich der Schritt von Graz nach Wien wichtig?

LUKAS: Sicher. Es ist die einzige Metropole, das mediale Zentrum, dort lebt ein Fünftel der Österreicher. In Graz reicht die Strahlkraft eines Kabarettisten gerade so weit, wie das Großverbreitungsgebiet der Kleinen Zeitung.

Der Wahlkampf tobt im Land. Man überbietet sich plakativ in einzig wahrer "Heimatliebe". Was denkt da der Kabarettist?

PICHLER: Und wer kotzt zuerst?

LUKAS: Naja, es hat schon schlimmere Wahlkämpfe gegeben.

Aber das Moscheen-Spiel ...

LUKAS: ... war ein letzter Versuch, Aufmerksamkeit zu erregen. Aber ich bin erleichtert, dass Gerhard Kurzmann so ein Lulu ist. Es würde mich sehr wundern, wenn das für die FPÖ nicht vergleichsweise in die Hose geht. Viele glauben ja, der Gerald Grosz ist der Freiheitliche.

Trotzdem, es dominieren Bauernhauskulissen und der Heimatbegriff. Was sagt uns das?

PICHLER: Dieses auf die Heimat besinnen soll natürlich die Angst vor der Migration und der Durchmischung schüren. Da könnte man gleich plakatieren: Lasst keine Luft ins Vakuum einströmen. Also diese Bildsprache, dass Heimat eine violette Krawatte ist, ist erbärmlich.

LUKAS: Noch dazu, wo die Steirer ja keine Ethnie sind. Die einstige Untersteiermark ist ja wirklich das Gleiche in grün wie die Südsteiermark, dafür hat das Salzkammergut nichts mit dem Rest zu tun. Und noch was: Das Klein Istanbul in Wien war früher ja das Klein-Graz. Weil am Yppenplatz oder Brunnenmarkt halt auch damals schon die billigen Arbeitskräfte gewohnt haben.