Die Wiener Philharmoniker scheinen Sie zu lieben. Nach 2006 wurden Sie nun zum zweiten Mal zum Neujahrskonzert eingeladen. Wie reagierten Sie, als Sie das erfuhren? JANSONS: Ich fühlte mich sehr glücklich und sehr geehrt. Beim zweiten Mal kennt man schon die Atmosphäre, das ist ein Vorteil.

Ist es für Sie jetzt leichter? JANSONS: Leichter und lockerer. Damals war ich ein Neuling, heute weiß ich genau, wie ein solches Programm sein soll.

Durften Sie sich Herzenswünsche erfüllen? JANSONS: Ja. Die "Wiener Bürger" von Ziehrer sind ein Stück, das ich besonders liebe, und der "Delirien"-Walzer von Joseph Strauß. Und der ganze zweite Konzertteil steht in starkem Zusammenhang mit meiner Biografie.

Wann waren Sie erstmals mit Strauß-Klängen konfrontiert? JANSONS: Schon als Kind in Riga. Als ich mit 13 zur Ausbildung nach St. Petersburg ging, habe ich oft Strauß gehört, dessen Musik dort nach wie vor sehr beliebt ist. Die Walzer erzählen oft Lebensgeschichten, sind Tonpoeme.

Zwei österreichische Dirigenten prägten Ihre Karriere: Hans Swarowsky und Herbert von Karajan. Zu Karajan kamen Sie, als Sie erst 26 waren. Wie geschah das? JANSONS: Er war in St. Petersburg, dirigierte die Berliner Philharmoniker, und es gab eine Masterclass. Ich habe daran als einer von zwölf jungen Dirigenten teilgenommen. Er meinte: "Ich halte Sie für begabt. Kommen Sie zu mir, studieren Sie bei mir." Damals war die Diktatur ziemlich stark. Mein Glück war ein österreichisch-sowjetisches Austauschprogramm. Eine Ballerina kam aus Wien nach St. Petersburg, um dort zu lernen, ich durfte im Gegenzug nach Wien. Von dort rief ich Karajan an. Er meinte nur: "Komm!" So verbrachte ich Ostern, Pfingsten, Sommer bei ihm in Salzburg, von neun Uhr morgens bis spät am Abend. Gewissermaßen war ich auch sein Assistent. Diese Zeit war ein Gottesgeschenk. Kein Unterricht im üblichen Sinn, sondern Learning by Doing.

Welche Erinnerungen haben Sie an Hans Swarowsky? JANSONS: Seine Analysen von Partituren, über Form und Geschichte, waren grandios. Er besaß da unglaubliches Wissen.

Wie lange waren Sie zu jener Zeit in Wien? JANSONS: Zwei Jahre. Und es verging kaum ein Tag, an dem ich keine Konzerte besuchte, an Sonntagen waren es oft bis zu drei. Die Billeteure haben mich schon gekannt, sie verlangten keine Karten mehr von mir.

2010 sollten Sie mit "Carmen" erstmals Oper in Wien dirigieren. Eine Erkrankung verhinderte das. Würden Sie es gerne nachholen? JANSONS: Jetzt, wo ich wieder ganz gesund bin, hätte ich prinzipiell nichts dagegen. Aber Opernproduktionen verlangen viel Zeit. Mit "Eugen Onegin" war ich in Amsterdam zweieinhalb Monate beschäftigt. Und ich habe ja meine Verpflichtungen bei zwei Symphonieorchestern.

Seit wann fühlen Sie sich wieder fit? JANSONS: Seit September 2010. Ich hatte exzellente Ärzte. In den USA.

Ihre Mutter Iraida, eine jüdische Sängerin, brachte Sie in einem Versteck zur Welt, nachdem ihr Vater und ihr Bruder im Getto von Riga umgekommen waren. Sind Sie, aus diesem Wissen heraus, ein sehr politischer Mensch geworden? JANSONS: Nein, ich habe nicht die Absicht, politische Kämpfe auszufechten. Aber ich weiß, dass wir in einer sehr schwierigen Zeit leben. Es sind viele Werte verloren gegangen, die Welt hat sich geistig nicht unbedingt zum Positiven entwickelt, konzentriert sich zu sehr auf die materielle Seite. Ich mache mir um die Zukunft sehr, sehr große Sorgen.

Und was können wir tun? JANSONS: Wir brauchen mehr geistige Nahrung aus Kunst, Musik und Religion.

Glauben Sie an Gott? JANSONS: Ja, unbedingt. Das wurde mir mit der Muttermilch mitgegeben. Ich denke dabei aber nicht an den alten Mann mit dem Bart. Unser Gewissen ist auch ein Gott. Man sollte öfter mit seinem Gewissen sprechen. Und immer wieder versuchen, die geistige Seite zu verbessern. Wenn ein Mensch auf einer höheren Stufe steht, darf man von ihm erwarten, dass er nicht imstande ist, viele schreckliche Dinge zu tun.

Was halten Sie von der heutigen Politik im Allgemeinen? JANSONS (lächelt): Muss ich das wirklich aussprechen? Sie gefällt mir generell nicht, doch andererseits weiß ich natürlich, dass es sehr leicht ist zu kritisieren. Ich möchte kein Besserwisser sein. Aber Politiker würde ich nie werden wollen. Nie! Ich versuche, ein anständiger Mensch zu sein, der die Werte des Lebens schätzt und das Beste für Musik, das Leben, die anderen Menschen macht. Wie gesagt: Ich versuche es. Ob es gelingt, ist jedoch eine ganz andere Sache.