Josef Mitterer, Philosoph aus Tirol mit Sitz in Klagenfurt und, gedanklich, der ganzen Welt, ist einer der wenigen Denker, die dem strapazierten Ideenfeld der Philosophie eine originelle Variante hinzufügten. Er nennt sie „Nondualismus“. Das klingt spröde genug, übt aber selbst auf Praktiker, die es mit Informationen zu tun haben, große Faszination aus.

In jungen Tagen lernte Mitterer als Reiseleiter ein merkwürdiges Phänomen kennen: Touristen glauben nicht einfach, was der Fall ist; sie glauben, dass das der Fall ist, was der Reiseleiter ihnen erzählt. Erzählt er gut, bekommt er viel Trinkgeld. Zudem hat er die Genugtuung, die bisher übliche Beschreibung „kreativ“ fortgeführt zu haben. Seine Kreation erzeugt, über ihre Festschreibung in den Köpfen, neue Tatsachen – so könnte man sagen, oder?

Ja, sagt Mitterer, der, nach Hause zurückgekehrt, gleich philosophische Nägel mit Köpfen machte. In zwei viel diskutierten Büchern, gerade neu aufgelegt, verficht er die kühne These, dass im Grunde alle Fakten nur welche sind, solange sie herbei- und weitergeschrieben werden. „Jenseits“ davon gibt es keine Realität, die zu entscheiden erlaube, was ein Faktum ist.

Mitterer sagt dies auf eine so präzise, gefinkelte, verschmitzte Weise, dass ich erst jüngst fast bereit war, es ihm zu glauben, als ich nämlich zum x-ten Mal Berichte über 9/11 las und sah (auch Bilder sind ja „Beschreibungen“). Plötzlich hatte ich das irre Gefühl: Wenn mich jetzt einer fragen würde, wie sich der Anschlag auf die Türme des World Trade Center wirklich abspielte, dann könnte ich nichts weiter tun, als auf die Endlosschleife der Beschreibungen hinweisen, die einander zum Teil heftig widersprechen.

Bekommt man als Fakten womöglich heraus, was man an Beschreibungen in sie hineinflüstert? Sind wir etwa Faktenflüsterer? Nun, ich riss mich zusammen, bin wieder Realist. Trotzdem kann ich Mitterers Bücher nur jedem wärmstens empfehlen, den im Hypermedienzeitalter ab und zu der Gedanke anwandelt: Könnte letzten Endes nicht doch alles herbeigeschrieben sein?