Auf bloß knapp 20 Seiten hat Stéphane Hessel einen Aufruf zur Rebellion gegen die sich "noch immer weiter öffnende Schere zwischen ganz arm und ganz reich" geschrieben, ein antikapitalistisches Plädoyer für alte und neue Bürgertugenden. Mit seiner Streitschrift ist der ehemalige Résistance-Kämpfer in Frankreich ein Medienstar geworden. Binnen weniger Tage verkaufte ein kleiner Verlag mehr als eine Million Exemplare.

Nun ist das kleine Heft mit der großen Wirkung in einer Erstauflage von 50.000 Stück auf Deutsch erschienen und wird wohl auch bei uns für so manchen "Wutbürger" zum Vademecum werden. "Wir alle sind aufgerufen, unsere Gesellschaft so zu bewahren, dass wir stolz auf sie sein können", schreibt Hessel. Wenn die Reichen die Medien beherrschen, wenn die Macht des Geldes "so groß, so anmaßend, so egoistisch" sei wie jetzt, dann sei Widerstand angesagt.

Hessel, 1917 in Berlin geboren, als Jugendlicher nach Paris ausgewandert, glaubte als KZ-Überlebender nie an die Ohnmacht: "Wenn man sich über etwas empört, wie mich der Nazi-Wahn empört hat, wird man aktiv, stark und engagiert. Man verbindet sich mit dem Strom der Geschichte, und dieser große Strom nimmt seinen Lauf dank dem Engagement der Vielen."

Hessel schreibt gegen die Gleichgültigkeit an, sein Text liefert eine Symptombeschreibung. Allerdings keine Analyse, was dem ehemaligen Diplomaten vielfach vorgeworfen wird. Ebenso ein einäugiger Blick auf Nahost, weil er den Staat Israel anklagt, die Palästinenser in einem Gefängnis unter freiem Himmel zu halten. Zwar sei für Hessel der Terrorismus der Hamas "inakzeptabel", doch wie Jean-Paul Sartre findet der streitbare Veteran, dass man "die Bombenwerfer nicht entschuldigen, aber verstehen" könne. Dennoch setzt er auf einen "Aufstand der Friedfertigkeit". Und vielleicht gehört ja zur richtigen Empörung einfach eine radikale Parteilichkeit.